FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 0

Wolfgang Burde

 

15. JULI '88

Wer sich noch an den Pianisten Cecil Taylor erinnert, der in den siebziger Jahren in der Berliner Philharmonie mit faszinierender Monomanie seine Cluster-Kaskaden über Stunden in das Klavier schlug und das Instrument wie eine permanent um registrierbare Klang-Orgel nutzte oder wie einen flirrenden Klangspiegel polierte, der seine emphatischen Klang-Reden auch dann hervorsprudelte, wenn die Linke gerade seinen Kopf stürmisch frottierte, wer Cecils Purismus damals liebte, seine Unbedingtheit, sein gehärtetes, kristallines Material, das sich keinen Schlenker, keine Nachlässigkeit erlaubte, der wird mit Staunen jenen stilistisch flexiblen und assoziationsreichen improvisatorischen Prozess wahrnehmen, den das Workshop-Ensemble nunmehr unter seiner Leitung formuliert.

Damals war sein großes Geheimnis, wie er dieses Cluster-Material, diesen Kosmos aus atemberaubend artikulierten Klangstrudeln, Kaskaden und jagendend-flirrenden Skalen dennoch zum „swingen" brachte. Heute fasziniert, wie er eine heterogene Gruppe von 13 Jazzmusikern durch einen dreiviertelstündigen Prozess führt, in dem geschrieen und geklatscht, solistisch und in Gruppen aufbegehrt oder als „big band" so musiziert wird, dass in jedem Augenblick dennoch ein Einheitsmoment, ein übergreifender Sinnzusammenhang spürbar bleibt, der gerade in Free Jazz-Prozessen oft zugunsten des Kaputtspielens oder solistischer Ausbrüche oder nur mehr knirschender Dialoge oder minimalistischen Leerlaufens leichthin aufgegeben wird.

Cecil Taylors Workshop-Ensemble artikuliert Zeit und gestaltet den gesamten Prozess Musik sprachlich so flexibel - das gilt auch für den Wechsel der Instrumentalfarben, der dynamischen Abstufungen, der Artikulationsweisen - dass er in der Tat als sinnvoll gestalteter Jazzprozess erlebbar wird. Dennoch wird sehr bald spürbar, dass trotz aller Konzentration, trotz aller Bezogenheit der Spieler aufeinander, Jazz hier nicht wie ein geschmackvolles Salon-Phänomen zelebriert wird. Denn Taylor besteht von Beginn an auf Hitze, auf Erregung und er selbst heizt seinen Jazz immer wieder an durch Aufschreie oder längere Rezitationen, die er wie ein Hohepriester des Jazz bald rituell gemessen artikuliert, bald ekstatisch herausschreit. „Bay-bay-bay- bay, bay, bay, three have to play: you, you and you."

Der Rest seiner Worte färbt sich als leidenschaftliche, drohende Aufforderung ein, mit dem Spielen zu beginnen: zsssss.

Zunächst begnügt man sich mit Kammermusik. Einzelne Musiker - trombone, violin, saxophone - exponieren, nachdem Flöte, Klarinette, Posaune und Schlagzeug begonnen hatten, locker Material, das sich zum ersten Mal nach ungefähr 5 Minuten, nachdem mehrere Bläser miteinander ins Gerangel gerieten, zu einem explosiven Klangraum verdichtet, zu einer Art Chaos-Struktur, wie wir sie vom Jazz am Ende der sechziger Jahre her kennen.

Dann bildet sich ein feingewirkter Teppich von Kontrabass- und Schlagzeug-Artikulationen und darüber ein großbögiges, trombone-Solo. Einheit entsteht aber auch durch bestimmtes figuratives Material, durch Sekundfigurationen, die immer wieder einmal aufgegriffen oder aber durch jene vokalen Ah-Ausbrüche, die chorisch herausgeschrieen werden oder zart schweben und durch Sch-sch-sch ins Piano abgedrängt werden, so dass der Maestro im Hintergrund als Rezitator hörbar wird und nach 10 Minuten eine aufwendige vokale-Lamentation initiieren kann, in die energischer auch eine seltsam güldene, brokatene Engelsstimme eingreift. Vokal eingefärbt und kontra punktiert werden gelegentlich auch virtuos herausgespielte Kadenzen der Violine oder der Saxophone und bald danach werden, nach einem längeren Orgelpunkt der tiefen Instrumente, zum ersten Mal nun die besonderen Farben des Sopransaxophons und der Oboe hörbar, grundiert vom großen Klang des ganzen Ensembles, bis wieder die hinreißend trocken, wie zerbrochen herausgespielte Violinen-Kadenz, ein emphatisches trombone-Solo und schließlich die virtuose Violine alles musikalisch überformt. Wieder wird nun chorisch geschrieen: he und ho oder glissandierend aufbegehrt.

Es ist ein solcher Wechsel zwischen den Farben und den einzelnen Gruppen, der diesen Jazzprozess so besonders interessant macht, der Wechsel zwischen Kammermusik und Jazz der „band", zwischen begleiteter Rezitation und vielfarbigem behutsamem Musizieren, bis in die Abgründe des Pianissimos hinein.

Nach 20 Minuten ist ein spürbarer Wechsel des Materials zu hören: Stakkatierte Tonrepetitionen im Dreier-Rhythmus dominieren jetzt und dann bekommt die Struktur des Ganzen wieder gewisse Ähnlichkeiten mit dem gelassen formulierten Beginn: Einzelne Klanggruppen präsentieren immer wieder anderes Material und man kann spüren und dann hören, wie das gesamte Ensemble noch einmal zu einer orchestralen Riesenpranke sich formt und wie in einem großen Aufschrei sich zusammenzieht grundiert vom brodelnden Schlagzeug und den Kontrabässen. Bis es zu diesem letzten großen Ausbruch kommt, werden freilich mehrere „kleine Konzerte" musiziert, geraten einzelne instrumentale Gruppen miteinander in einen „combat", in einen musikalischen Wettstreit. Und was dann folgt, hat die Zartheit eines Abgesangs, an dem alle Instrumente ihren solistischen Anteil nehmen, immer wieder einmal von den rituell herausgestoßenen Wortfetzen des Meisters im Hintergrund kontrapunktiert. Nicht zuletzt dieser Abgesang zeigt Taylors Meisterschaft des timing.

„Bay-bay-bay- bay, bay, bay, three have to play, you, you and you."

Let's listen friends.

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