FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 2

G. Fritze Margull

 

17. JUNI '88

I.
Eben noch führten die Stufen nach oben, dann betritt man, einen in graues Licht getauchten Raum, zu dem, wie um die lllusion von großer Tiefe zu erzeugen, dieselbe Anzahl von Stufen wieder hinabführen.

Im vorderen Teil, auf einem flachen, die Breite des Raumes einnehmenden Podest, steht, durch Licht hervorgehoben, ein Flügel.

Drei, vier Schritte entfernt ein Schlagzeugset, erweitert durch Orgelpfeifen, Gongs verschiedener Größe, Röhrenglocken und ringsum ausgebreitetes Schlagwerk.

Die Situation scheint eindeutig: 1 Pianist, 1 Trommler = 1 Duo, mittlerweile klassisch im Jazz.

Aber es bedarf keiner großen Sensibilität um die Spannung zu spüren, die ein Ereignis ankündigt. Ablauf und Ergebnis offen.

* Baby Sommer: „Mit Cecil Taylor zu spielen, ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung, auch eine physische. Die Kondition, über 1-2 Stunden hinweg, ein extrem forciertes Spiel mithalten zu können ist die Mindestvoraussetzung. Ebenso, auf den eigenen Ideenfluss, das was man mitteilen möchte, vertrauen zu können. Eben nicht nur auf seine Musik zu reagieren, sondern mithalten, eigenes Spielmaterial einbringen..."

II.
Aus dem Dunkel, der Peripherie des Raumes, plötzlich eine Stimme. Gutturale Laute sind zu vernehmen, Sprachfetzen auch, Rufe - das graue Licht scheint sich zu teilen. Jetzt ist die Stimme und der Mann am Flügel, umschleicht ihn, beklopft das Holz, fordernd, lockend - und immer präsent: die Stimme, mit ihren fremden Sprachsounds, Zischlauten - die sich einschwingt in eine Musik, von der man meint, dass sie bereits im Raum ist, wartend darauf angestoßen, gehört zu werden.

Der Platz an der Trommel ist nun, unbemerkt, auch besetzt. Die Hände des Trommlers mit den Stöcken sind angehoben, in Spannung erstarrt.

Der Mann, der mit Tanzschritten, das ,schwarze Ding' noch beschwört, beugt sich jetzt tief in den Korpus, wie in ein Uhrgehäuse, um von dort die Räder zu drehen, um der Zeit ein neues Maß, eine neue Richtung zu geben.

Dann fallen seine Hände auf die Tastatur: Dunkle, tiefe Akkorde, hart angeschlagen. Noch klingen die Töne aus, doch die rechte Hand hat bereits ein Motiv gefunden, das ihr gefällt, dreht, wendet die Tonfolge, verkehrt die Betonungen . . .

Dahinter, dazwischen, dumpf und hart, die Schläge von der Pauke, der tiefe, dichte Rhythmus der Basstrommeln. Ein Blech zischt kurz auf, verlöscht...

Das Tempo steigert sich. Die Hände des Pianisten nimmt das Auge nur mehr stroboskopisch wahr. An jedem Arm sind mindestens drei, vier Hände, die rasend rasch auftauchen, sich übereinander stürzend wieder zurückziehen, zu sechst auf den Tasten tanzen, unmögliche Sprünge vollführen. Ein, zwei Hände erstarren für einen Augenaufschlag in Pose, während vier oder fünf andere weitereilen, zwei plötzlich verschwunden sind (wohin?), um gleich wieder dabei zu sein . . .

* Baby Sommer: „Eigentlich ist meine derzeitige Spielauffassung ziemlich konträr zu der Taylors. Was ich mir in den letzten Jahren erarbeitet habe, und worum es mir geht, ist, mit meinem Instrumentarium harmonische Strukturen zu entwickeln, die aber Raum und Zeit benötigen, um sich entfalten zu können. Nun ist die Musik Taylors sehr, sehr dicht gespielt und ich musste von diesen Vorstellungen einige Abstriche machen um mich einbringen zu können. Das ist mir im Wesentlichen auch gelungen. Ich habe abstrakter gespielt, härter, präsenter, weil die Forderung so war."
„Wir hatten am Nachmittag ja nur etwa 20 Minuten zusammen improvisiert und ich musste mich für das Konzert auf meinen Fundus an Erfahrungen stützen und verlassen. Die Gleichwertigkeit die Taylor jeder einzelnen Note, als Teil des Ganzen gibt, ließ auch mich mein Schlagwerk anders behandeln. Jedes einzelne Teil, selbst die Beckenständer, jede Trommel, war gleichwertig, und das ist durchaus nicht üblich. Aber die ständigen „ vibrations" vom Flügel her, die sich in meinem Aufbau brachen, reflektiert wurden, brachten das ganze Set sowieso zum Schwingen. "

. . . um mit Tönen aufzutauchen, die einzeln, zu Dutzenden, in Klangkaskaden verglühen, wie Blitze auf der Netzhaut des Auges.
Die Intensität des Spiels steigert sich noch immer. Vom Schlagzeug kommen eruptive Salven, die auf die endlos aufsteigenden Tonbündel des Pianisten treffen, sich verfehlen, aufeinander prallen, um erneut wieder aufzusteigen. Taylor durchbricht sein rasendes Spiel durch harte, volle Tonblöcke, die sofort wieder vorangetrieben werden. Der Trommler jagt sein eigenes Tempo weiter, legt rhythmische Muster vor, auf denen die Töne des Pianos tanzen, tanzen... Wie Elementarteilchen ballen sich die Tonfolgen umeinander, um gehetzt von den nachdrängenden, wieder auseinanderzustieben. Das Ganze, ein vorwärts strömender Fluss, dessen Lauf sich mal verengt, an Tempo und Kraft zunimmt, dann wieder breiter wird, zögert, für einen Moment verharrt und weiterströmend in neuen Strudeln alles mit sich zieht.

Man möchte schreien! Das reicht! Es ist genug!

* Baby Sommer: „Als Mitspieler wird man zunächst voll in das Tempo hineingezogen und das Reaktionsvermögen extrem beschleunigt, sonst könnte ich keine der Phrasen aufnehmen. Aber das darf für mich, wie auch für den Zuhörer, nur vordergründig sein, denn Taylors Musik ist natürlich auch an ein menschliches Zeitmaß gebunden, nur, er spielt einfach mehr Töne in einer Zeiteinheit. Wenn man das in seiner Wahrnehmung nicht in Einzeltöne zerfallen lässt, sondern in„Gesamttönen" zusammenfasst, gelangt man zu einem Zeitmaß, das, man könnte sagen, dem Ein- und Ausatmen entspricht. Wesentlicher und bestimmender ist aber die Intensität seines Spiels, ihr untergeordnet sind Komposition, Struktur, die Eigenentwicklung etc. Die „innere Notwendigkeit" des künstlerischen Tun’s findet in dieser Musik den direktesten Ausdruck..."
Und plötzlich ist man hindurch, durch diese Außenbarriere von Tongewittern und es ist, wie sich das Innere eines Hurrikans darstellt: überraschend still, die Zeit wie gedehnt, von einem Energiefeld umgeben.

Alle Sinne sind aktiviert, gesteigert. Die Wahrnehmung unmittelbar, nur auf den Augenblick gerichtet. Jetzt, nur jetzt, das ist es.

Ringsum alles kreiselnd, spiralig, sich selbst zeugend, endlos...

Finale.

Fin.

„Beschriebene Musik, ist wie erzähltes Mittagessen". (---)

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