FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 5

G. Fritze Margull

 

10.JULI '88

„Musik, die wir kennen, ist riesenhafte Denkmalskunst, eingegeben von Nationalfeiern und Pontifikalmessen und anderem erregenden Verzweiflungsjubel von der Art der Neunten Sinfonie; ist sie aber echt?"
(Haldor Laxness)

Bennink: beginnt in hohem Tempo: Ratsche, durchbrochen von Trommeleinlagen - freie Sounds - Stampfen, geht in den Raum, schlägt Boden, Wände...

Taylor: reagiert mit Rufen, Klatschen

Bennink: rasend schnelle Trommeleinlagen, abrupt unterbrochen, wieder aufgenommen - Einzelschläge

Taylor: Stimme - die ersten Akkorde in tiefen Lagen, gegen die Trommeln gesetzt - perkussive Tonfolgen

Bennink: dichte Besenarbeit - dringt vor - konterkariert mit Vocalsounds

Taylor: reißt Saiten an - treibt sein Spiel vorwärts

Bennink: wechselt Rhythmus, wird schneller, bricht ab - scharfe Beckenschläge

Taylor: findet sein Spiel. Melodieblöcke. Jazzlinien. Rechte Hand - Mittellage - durchbrochen durch linke Hand...

Schon bevor er in die Tasten greift, spürt man die immense Spannung - die sich nicht erst durch die wild-ekstatischen Klangkaskaden und in einer wohl unerreichten Fülle von Klangfarben und Dynamikkontrasten äußert, die sich auch in den Iyrisch werdenden, spröd-romantischen Passagen hält - von Beginn an, baut sich ein Klangraum auf - abgehoben, schwebend, voller Vibration - in den die Trommeln Löcher stanzen - der sich verformt, zurückweicht, dehnt. Die Schnitte der Bleche werden mit perlenden Läufen zugenäht.

Es ist nicht die klavieristische Virtuosität, das großflächige Spiel, die Zerdehnung der Tempi oder deren Zusammenballung sondern, die infernalische Energie die zu einer Intensität führt, die Schreien macht, bei der der Atem stockt, die hineinzieht in diesen Raum der alle umschließt.

Klangwelten, in denen die Statik verwirrt zu sein scheint. Keine Assoziation die zweimal auftauchen würde. Es ist, als würden immer neue Vorhänge weggezogen, die immer neue Sterne, perfekt in ihrem Abbild zeigen. Auftönen und Erlöschen.

Die Trommeln Benninks sperren sich: Sie sind aufdringlich, verwehren den Fortlauf, dringen zwischen die Töne und Klänge. Die Überlagerungen und Verschränkungen, rhythmische Assonanzen, führen zu Gegensatz-Spannungen, kippen um.

Piano & Schlagzeug - für Augenblicke miteinander verknüpft, vernetzt, fallen sie auseinander, treffen sich im richtigen Moment wieder, vorausahnend, was der andere gleich tun wird.

Bennink: trommelt, fordert Platz, springt ab, übersteigert das Tempo Taylors - der weiter und weiter treibt, (mit der linken Hand „Boogie Woogie" spielt), der den ganzen Raum für sich einnimmt, auffüllt. Der Flügel klebt an den Händen, die sich loszureißen versuchen, sich doch nicht befreien können...

Zusammenprall von Piano & Schlagzeug, forciert durch wahnwitziges Tempo und donnernder Lautstärke.

Ein dynamisches Gebilde, das in sich kreist, in sich aufgeht...

Taylor: Stimme: erlösend, besänftigend. Gutturale Laute. Zerdehnte Vokale - der dumpfe Ton des Flügelholzes

Bennink: antwortet mit den Trommeln, scharf, hell

Taylor: peitschende Stimme - HAN

Bennink: lässt sich antreiben, schneller, schneller . . .

Taylor: MAGIC OF SOUND - Magic Of Sound - magic of sound

AUS GESPRÄCHEN MIT HAN BENNINK:

. . . Für mich ist es genauso interessant Cecil zuzuhören, wie mit ihm zu spielen. Das war schon beim ersten Treffen so, 1967, als Willem Breuker und ich am Abend mit ihm spielen sollten, kam er ins Studio, spielte den ganzen Tag auf dem Flügel und ich habe nur zugehört. Er hat sich nicht geändert.

Natürlich kannte ich damals einige Platten von ihm, „Live At The Café Montmartre" oder „The World Of Cecil Taylor" die ich sehr mochte. Auf dieser Platte ist ein kleines, fantastisches Stück, „Lazy Afternoon". Ein Beispiel dafür, dass er ganz romantisch spielen kann, fast klassisch. Seine Miniaturen finde ich wirklich toll und sie sind jedes mal anders. Wenn Cecil eine Platte machen würde nur mit „Drei-Minuten-Stücken" oder diesen „Zugaben", wäre ich der erste . . .

Das habe ich ihm auch geschrieben.

Aber nach wie vor am interessantesten finde ich seine Auffassung von Musik, die auf der Gil Evans Platte „lnto The Hot" dokumentiert ist.

Die verschiedenen Ein- und Zugänge zu seiner Musik habe ich erst über diese Arbeit in Berlin, mit ihm und der großen Gruppe erfahren. (Cecil Taylor European Orchestra). Das Orchester war großartig, doch bin ich überzeugt, wenn wir noch länger hätten zusammenarbeiten können, wäre die Musik noch besser geworden.

Wichtig und aufschlussreich war ein längeres, ungezwungenes Gespräch mit Cecil, das sich vor dem Duo-Konzert ergeben hatte. Ein Austausch über Vorlieben, wie Abneigungen, innerhalb der Musik, persönliche Erfahrungen und Auffassungen, das mir klar machte, wie sehr er in der Tradition steht und sie nicht nur verarbeitet hat.

Auch ich höre mir lieber Big Sid Catlett an oder Kenny Clarke, statt der heutigen Schlagzeuger und orientiere mich noch immer an west-afrikanischer Musik. Im Gegensatz zu manchen anderen, die diesen Hintergrund verlassen haben, oder auch nie hatten, fühle ich mich als Jazzschlagzeuger. Mit ein Grund, weshalb ich mein ,Riesenschlagzeug', das Nachahmer gefunden hatte, abschaffte.

So wie der Klavierspieler ein Klavier bei seinem Auftritt vorfindet, spiele ich auf einem, vom Veranstalter gestellten, normalen Schlagzeugset. Und das muss auch genügen, um den Sound, deine Tricks spielen zu können.

Meine Snare-Drum nehme ich allerdings noch mit, einfach weil ich die „lecker" finde.

Nur - gegenüber früher, übe ich viel, viel mehr. Ich investiere sehr viel mehr Zeit dafür, denn ich habe Angst, wenn ich das nicht tue, das Fingerspitzengefühl, die Geschwindigkeit, die Frische zu verlieren. Eine Angst, die wohl jeder schöpferische Mensch hat, dass etwas nicht mehr gelingen könnte. Dabei habe ich jetzt zum Beispiel etwas mit meiner linken Hand erfunden, was bisher keiner spielen kann.

Mir ist es sehr wichtig, zurück zur Herkunft des Schlagzeugspiels zu gehen, den ,Jazzaspekt' wieder rein zu bringen. Ich bin so weit, dass ich auch mit zwei Streichhölzern alles Nötige machen könnte.

Wenn einer ganz ausflippt, wie Cecil, habe ich das Gefühl, ich muss mit meinem Spiel an der Basis bleiben, auch mal einen Dixieland-Rhythmus unterlegen um zu prüfen, wie sich das anhört.

Es hilft, denke ich, nicht, dass man da alle Art von kling, klang spielt. Ein Schimpanse kann das auch ganz gut.

Taylor. anders aufzufassen, dies dichte Spiel nicht noch dichter machen, sondern, einen „counterpoint" suchen - was schwer ist in seiner Musik, denn Cecil „swingt" nicht - dafür muss man als Kollege sorgen.

Wenn man ihm einfach folgt, viele tun das, gibt es zu viele Noten und zu wenig Klarheit. Ich setze mein „System" gegen seines, dann entstehen auch neue Dinge - so existiert Musik - sonst wird es zu leicht und das interessiert mich nicht.

Mit dieser Mentalität spiele ich und ich kann dies nur immer wieder erproben, heute mit Cecil, morgen mit einem anderen Musiker. Aber, darüber reden oder machen, ist etwas ganz verschiedenes. Wenn ich in Worten erklären könnte, was ich spiele, würde ich einfach ein Buch schreiben, zum umblättern und nachlesen.

Doch spreche ich jetzt davon, wie mein Gefühl bei dem Konzert war: Ich konnte spielen, was ich spielen wollte, und bei ihm war das genauso. Überhaupt - ich hatte ein wahnsinnig gutes Gefühl dabei, obwohl ich das Ergebnis bisher noch nicht gehört habe.

Auch spielt Cecil immer wieder anders. Er hat sich so eine große Palette von Möglichkeiten erarbeitet - und arbeitet noch immer daran - und wenn er bekommt, was er will: einen sehr guten Flügel, ist es überhaupt nicht schwierig, mit ihm zusammenzuspielen.

Ich denke, dass er zu den großen Koryphäen gehört, wie Duke, Monk, Billie Holiday und noch einige andere. Er hat das Alter und die Aura, ist einfach Cecil Taylor. Er macht, was er macht.

zurück / back