FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 13

Bert Noglik

 

20. JUNI '88

Juni, drei Tage vor Sommeranfang. Helligkeit bis in den Abend hinein. Eine Premiere steht bevor: Cecil Taylors erster Auftritt in der DDR. Der Flügel auf der ausgeleuchteten Bühne. Stille. Aus dem Hintergrund sind Stimme und Schritte zu hören. Cecil Taylor ist da. Seine Präsenz versetzt das Zeitgefühl für die Dauer dieses Konzertes in einen schwebenden Zustand. Konzert erscheint ein unangemessen enger Begriff. Cecil Taylor beginnt tanzend, rezitierend, singend. Er schreitet den Raum aus, füllt ihn an mit der eigenwilligen Dynamik seiner Musik, lässt ihn sich weiten, zusammenziehen, vor allem öffnen. Taylor ist da, bringt sich ein als Poet und Pianist, ganzheitlich als Persönlichkeit. Das Konzert gerät zu einer Performance von magischer Intensität. Musikalisch lässt Taylor alle Facetten seines Spiels aufleuchten - eine Art pianistisches Fazit, versehen mit dem Signum des Vorläufigen. Improvisation als Lebensprozess. Vorwartsstreben, Zögern, Drängen, Stocken, wuchtige Steigerungen und nachdenklich hingeworfene Fragen. Unglaublich, wie zart Taylors Anschlag mitunter sein kann. Die Kraft seiner Musik entspringt nicht der Angriffslust, sondern der Empfindsamkeit, wohl auch der Verletzlichkeit. Man spürt, dass er eins ist- mit dem Raum, den Zuhörern. Die dichten Ton- und Klangfolgen erweisen sich physisch erlebbar, dekodierbar durch anteilnehmende Aufmerksamkeit. Die Zugaben - Miniaturen, Charakterstudien, kompensierte Erfahrungen. Taylor haucht dem Piano seinen Atem ein und bringt den Raum zum Schwingen. Einst von einem britischen Interviewer befragt, ob er das Wort ,,erotisch" im Zusammenhang mit einem seiner Konzerte für angemessen halte, antwortete Taylor: "Ha! That's a good word. Yes - loving, joyful, celebration!". In Taylors Musik verschmilzt allumfassende Sinnlichkeit mit Lebensweisheit. - Es geht, es ging etwas Leuchtendes aus von diesem Konzert Cecil Taylors in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. Waches Reflektieren der Widerspruche und Hingabe an den Fluss der Zeit. Tiefe des Erlebens in einem von André Breton beschriebenen Sinne: ,,Die Schönheit wird wie ein BEBEN sein, oder sie wird nicht sein."

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