FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 26

Hanno Rempel

 

"Durch die Arbeit mit Rechnern bei programmierbaren Kompositionsprozessen bin ich zur Entwicklung von Improvisationsmodellen gekommen. Resultat meiner Arbeit war ein Programm, das es erlaubt, einen Rechner als Steuerung für einen Synthesizer einzusetzen. Es können alle musikalischen Parameter beeinflusst werden. Wird ein bestimmter Programmteil aufgerufen, so werden von mir definierte Klangfiguren abgespielt. Ein Zufallsgenerator sorgt dafür, dass dies mit ständiger Variation geschieht. Durch Rechner-Eingaben kann die Variationsbreite sowie deren Richtung gesteuert werden. z. B. das Programm Ton Wiederholungen (Repetitionen), dann können für jeden Schleifendurchgang Schnelligkeit, Klangfarbe, Tonhöhe usw. neu eingegeben werden. Die Flexibilität des ganzen Programms ermöglicht Improvisation auch im Zusammenspiel/ mit anderen improvisierenden Musikern. Deren Signale werden in Effektgeräten elektronisch manipuliert, sodass sie mit dem Klang des Synthesizers verschmelzen". (Georg Katzer).

Beim Musikhören steht das im Mittelpunkt, was der Autor eines realen und unmittelbaren Hörprozesses dem Rezipienten übergibt. Jener verarbeitet das vom Musikmacher ausgehende Angebot in einem komplexen, gleichzeitig emotionalen wie rationalen Vorgang, der nicht unbedingt auf bewusste Weise von statten gehen muss. Die technischen Parameter, ihr Zu- und In-Einander zu durchschauen, erscheint dagegen von sekundärer Bedeutung, könnte jedoch (bei Bedarf) von Interesse sein. Mit anderen Worten: es ist nicht notwendig zu wissen, wie Musik in ihrem Inneren beschaffen ist, für den Hörer allein wichtig ist, ob sie ihm gefällt oder nicht. Mit Qualität, mit der FeststeIlung von Wert bzw. Un-Wert hat das noch nichts zu tun.

Katzer spricht, die Machart, also Technisches betreffend, zwei wesentliche Aspekte an, einen (melo-rhythmisch) strukturellen und einen klanglichen. Dabei treffen innerhalb eines jeden dieser beiden Aspekte Extreme aufeinander, die durch konzeptionelle Überlegungen bzw. Vorkehrungen einander angenähert bzw. zu neuer Qualität integriert werden.

So erscheinen innerhalb des melo-rhythmischen Bereichs spontan erfundene (Zufall) und vorher bestimmt - geplante Elemente (definierte Klangfiguren). Ein Kompromiss stellt die von Katzer erwähnte ständige Variation dar. Diese durch Zufallsimpulse gesteuerte permanente Veränderung von zunächst festgeschriebenen Ausgangspunkten erbringt stets Neues wie sie gleichzeitig auch ein konstant bIeibendes Element in sich trägt - bis hin zur AbIösung durch eine zweite definierte Klangstruktur.

Im Bereich des Klanglichen erscheinen einerseits autonome elektronische Klänge (d h: Klänge, die sich nicht peinlich-nachahmerisch in die Nähe herkömmlicher instrumentaler oder vokaler Klangmuster begeben), andererseits naturelle Instrumentalklänge (erweitert durch Unkonventionelles wie Geräuschfaktoren usw.) Hier stellt sich der Kompromiss dergestalt dar, dass diese instrumentalen Klänge elektronisch manipuliert, in ihrem ursprünglichen Klangcharakter verfremdet, teils auch (durch Echo-Effekte) multipliziert werden. Dieser Kompromiss (der Begriff ist hier niemals abwertend gemeint!) bedeutet kein Annähern an konventionelle Klangmuster, sondern eine dritte klangliche Dimension.

Die von Katzer angesprochene Flexibilität des Programms erweist sich somit als nur ein Aspekt eines insgesamt flexibel gehandhabten technischen Apparates, der die Basis für ein durch und flexibles Konzept darstellt. Aus diesem Konzept erwächst ein Ergebnis, welches beim Hörer als flexible Musik ankommen mag - um auf den eingangs geäußerten Gedanken, das Musikhören betreffend, zurückzukommen.

Von elektronischer Musik ausgehend, in denen allein elektronisch hergestellte Klänge auf Tonband gespeichert wurden, bedeutet der von Fuchs & Katzer hier repräsentierte Typ ein Rückgriff auf Tradition - jedoch nicht in einem konventionell-konservativen, sondern in einem schöpferisch-avancierten Sinn. Rückgriff findet statt auf traditioneIle Formen des Musikmachens (Musizieren statt purem Anspiel von Ton-Konserven, ermöglicht durch live-elektronische Verfahrensweisen), auf den traditioneIlen Instrumentalklang, mag er auch noch so geräuschhaft angereichert sein.

Dieser Rückgriff findet mit nach vorn gerichtetem Kopf statt, er bedeutet keine Rück- Wendung. Dabei entsteht Neues - ein neuer Typ des Musizierens, der das fantasievolle Spiel mit einer und durch eine Maschine einschließt -eine neue Klanglichkeit durch die elektronische Bearbeitung natureIler Instrumentalklänge, die sich deutlich von reinen elektronischen wie auch von reinen instrumentalen Klängen abheben.

Diese Art musikhistorischer Ruckkopplung hat zahlreiche Muster in der Geschichte. Die Wiener Klassiker Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven orientierten sich in den Spätphasen ihrer Entwicklung an der Polyphonie Johann Sebastian Bachs und der älterer Epochen. An den Mehrstimmigkeitstyp der Wiener Klassiker wiederum knüpfte Arnold Schönberg an. Dabei entstand jeweils Neues - der historische Rückgriff von Haydn/Mozart/Beethoven führte schließlich über Schönberg zu Anton Webern. Der Free Jazz der frühen sechziger Jahre profilierte sich nicht zuletzt durch einen massiven Rückgriff auf die Tradition des Blues. Die Improvisierte Musik Europas ist ohne die Tradition der E-Musik des zwanzigsten Jahrhunderts undenkbar.

Das Geheimnis, Erneuerung durch Rückbestimmung auf Tradition zu fördern, besteht Wesentlich darin, allgemeinmusikalisch-geistige Prinzipien schöpferisch in das Jetzt zu transformieren und nicht (vorrangig) stilistische ModelIe aus der Tradition zu variieren oder gar zu kopieren. Fuchs & Katzer haben beides (live-elektronische Struktur-Methoden, Verfremdung des naturellen Instrumentalklanges) nicht erfunden, doch repräsentieren sie diesen Musiktyp auf einem außerordentlich hohen Niveau. Ihre Musik wirkt über weite Strecken hinweg abgeklärt und kontemplativ, ohne jemals in die Nähe eines abgestandenen Meditationismus zu geraten. Doch fehlen nicht dramatische Elemente und Entwicklungen. Der Ablauf ergibt sich streng im Konzept befindlich, jedoch ohne merklich-hörbar dramaturgische Zwänge, damit Werkcharakter vermeidend. Die gleichzeitig ausgewogene und unsymmetrische Verteilung divergenter Klänge und Rhythmen schafft unterschiedliche Grade von Dichte und HeIligkeit. Trotz der relativ hohen inteIlektuellen VorIeistung, die in diese (halb-improvisierte) Musik eingegangen ist, erscheint sie erstaunlich sinnlich, ja körperlich - oder vieIleicht sogar gerade deswegen. Die gegenseitige gedankliche Integration beider Musiker bewirkt sowohl konformes als auch konträres Spielverhallen, wobei die Reaktionen beider aufeinander gleichzeitig engagiert wie gelassen wirken. Dieser souveräne Umgang mit Mitteln, Methoden, Strukturen zeugt von gewachsener Reife. Die Musik von Wolfgang Fuchs und Georg Katzer ist kein Experiment, sie ist Resultat, auch wenn dieses Ergebnis einen sich im Fluss befindlichen Prozess beinhaltet; und vor allem demonstriert sie außerordentliche Schönheit - Schönheit in einer neuen Dimension.

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