FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 27

Wolfgang Burde

 

Auch diese elf Bagatellen des Schlippenbach -Trios sind keine Kleinigkeiten, musikalische Bagatellsachen, sondern wie Bagatellen des 18. Jahrhunderts oder Bartoks und Weberns Bagatellen in unserem Jahrhundert musikalische Prozesse, Redeweisen von prägnantem und sehr unterschiedlichem Charakter. Es sind Konzentrate, die wenige Minuten währen und weit ausholende Jazzgespräche, die wirklich den Namen verdienen. Denn Schlippenbach(piano), Parker(tenor & soprano sax) und Lovens(percussion) sind nicht nur geistreiche Virtuosen ihrer Instrumente und ihres Instrumentariums, sondern in jeder Bagatelle wirklich entschlossen mit - oder gegeneinander Jazz zu kreieren. In jedem Augenblick bildet sich jene schöpferische Hitze, von der Strawinsky glaubte, dass sie die notwendige Voraussetzung von gutem Jazz sei. Und er fügte hinzu, dass der ,,wirklich interessante Punkt instrumentale -Virtuosität" sei und dass die Einfälle ganz unmittelbar aus dem Instrument abgeleitet werden.

Die Hitze, von der diese Bagatellen zeugen ist Jazzintensität. Und es wäre ein Missverständnis, sie mit jener Kaputtspiel-Phase zu vergleichen, in die der europäische Free-Jazz sich am Ende der sechziger Jahre einwühlte, für Augenblicke stagnierte und keineswegs kulminierte. An dieser Einspielung des Schlippenbach -Trios überrascht die Intensität und Plastizität mit der selbst Miniaturen wie die ersten beiden Bagatellen formuliert und ausgeleuchtet werden. Und Schlippenbachs offenbar depressiv-rezitativische, an Monk erinnernde Piano-Eröffnung dieses Bagatellen-Zyklus, ,,Areas", mündet nach geistesgegenwärtig sich befreienden, kurzen virtuosen Ausbrüchen zuletzt ein in eine Gelöstheit, die an die Gelassenheit von ,,Morgen-Ragas" erinnert.

Danach, in ,,Beelzebub's Tales: Revised", faszinieren Schlippenbach und Parker durch Ornamentik, durch unmittelbar aufeinander reagierendes Linienspiel, durch Mäander, die sich ostinat an die Zeit zu verschwenden scheinen, hellsichtig und diskret akzentuiert von Lovens.

Es folgt ,,The Forge: Rebellowed", eine der extensivsten Bagatellen, ein 14minütiger Prozess, der nicht nur durch seinen großen Musik sprachlichen Horizont, durch die Differenziertheit der Dialekte erstaunt, sondern auch durch die Nahtlosigkeit mit der hier die Strukturen folgerichtig entwickelt werden und allmählich auseinander herauswachsen.

Tenorsaxophon und Piano dialogisieren zunächst gelassen miteinander, während Lovens metallisch helle, glockchenartige Akzente setzt. Aber nach vier Minuten haben sich diese Dialoge, die jetzt freilich alle Registerlagen und Farben und Artikulationsweisen nutzen, bereits so sehr intensiviert, dass die Gesprächsfetzen nun eruptiv herausgeschleudert werden. Darauf folgt Schlippenbachs monologische, komplexe polymetrische Klavierexkursion und Lovens greift nun mit vergleichbar virtuosen Akzentuationen ein. Man höre auf Schlippenbach. Das Klavier flirrt nicht nur im figurativen Rausch oder schlägt Cluster, sondern auch harte, trockene Figurationen die an gleichsam enthäutete barocke Spielfiguren erinnern. Lovens mit beat-geladenen Dreinschlagen und Parkers virtuoses Tenorsaxophon beenden einen Jazzprozess von hinreißender Intensität, Vielschichtigkeit und spontan sich formulierender Folgerichtigkeit.

Aber dann ,,Analogue Scale". Das ist eine Nummer, die zunächst von Andeutungen, von kurzen Formulierungen zu leben scheint, von lustvoll ausgestreuten Vokabeln. Aber bald verdichtet sich der Prozess zur Atmosphäre von staunenswerter Zartheit, die sich nur noch in Klangbildern fortzubewegen scheint. Jazz tendiert zur Szene. Nun können die Klänge ausschwingen, können gelassen nachhallen oder sich zu Signalen, wie Morsezeichen verdichten. Das Sopransax gleitet durch den Tonraum, scheint zu wimmern, klagend zu sprechen und findet unversehens doch zurück zu Minimal-Repetitionen, die auch das Klavier aufnimmt und Lovens: der fantastisch einfühlsame Percussionist, der aber das Spiel der Instrumentalisten nicht nur akzentuiert, sondern immer wieder auch umakzentuiert und so dem Prozess eine schöpferisch neue Richtung zu geben weiß. Es ist solche schöpferische Verwandlung von figurativen Formeln in eine neue Dimension, in einen neuen Ausdrucksraum, die das Spiel des Trios immer wieder auszeichnet.

Was im europäischen Free Jazz heute möglich ist - ansteckende Virtuosität, Charme, die scheinbare Simplizität einer Notturno-Atmosphäre - man vergnüge sich an der frechen Gelöstheit des ,,Elster-Werda Nocturno" und am Spiel dieses Trios, das seit 1970 in kontinuierlicher Zusammenarbeit seinen Kosmos entwickelte. Und das zeigt sich nicht nur in traumwandlerisch schönen Phrasen, sondern grundsätzlich in einer Formulierungskraft, die auf schlackenloser Technik basiert und darum die Hände frei hat für wirkliche schöpferische Arbeit.

zurück / back