FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music | 1989-2004 |
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FMP CD 39 Hans-Jürgen Linke |
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Keine Ahnung, wie das funktioniert. Unerklärlich. Aber vielleicht wenigstens beschreibbar? Selbst abgebrühten Musikhörern widerfährt zuweilen - wenn auch im Laufe der Jahre immer seltener - etwas Merkwürdiges. Man steht zum Beispiel plötzlich auf einem Stuhl' und weiß nicht, wie man dort hingekommen ist. Oder man schwebt nach einem Konzert den langen Fußweg nach Hause, lächelt selbst rüpelhafte nächtliche Trunkenbolde an wie ein satter Säugling. Was ist geschehen? VieIleicht hat man das Trio de Clarinettes gehört. Von links nach rechts: Jacques di Donato, Louis Sclavis, Armand Angster. Vielleicht sollte man, obwohl (oder weil) auch das nicht zu hören ist, hinzufügen, dass alle drei schwarz gekleidet sind, womit sie die Bekleidungsordnung der Musik Branche mit dem großen E sowohl zitieren als auch persiflieren. Das Schwarz deutet Formstrenge an und verweist zugleich auf das, was auf der Bühne am wichtigsten ist: die Klarinetten mit ihren schwarzen Holzkörpern und mattsilbernen Klappen. Die Instrumente und die Männer, die sie spielen, sehen aus, als seien sie miteinander verwandt, als seien sie Teile voneinander. Fassen wir zusammen: Drei Männer, sieben Klarinetten, Schwarz und Silber. Musik. Drei Männer, die über weitreichende musikalische Erfahrungen verfügen, in zeitgenössischer E-Musik, in improvisierter Musik verschiedenster Provenienzen, auf der Suche nach imaginärer Folklore. Drei beträchtliche Erfahrungsschätze werden einander hinzugefügt. Dabei zeigt sich, dass sie zu großen Teilen aus gleichen Substanzen bestehen: Aus einer Spielhaltung, die allergrößten Wert auf Verbindlichkeit und Präzision legt; aus Virtuosität, die nicht selbstzweckhaften Glanz verbreitet, sondern sachdienlich im Dienste von Präzision, Verbindlichkeit und Bühnenpräsenz steht; aus einer Musikalität, die zutiefst seriös, dabei aber quecksilbrig genug ist, Herkömmliches nicht als Grenzwert des Erreichbaren zu akzeptieren. Blasinstrumente haben etwas Archaisches. So ähnlich muss der Mensch zur Musik gekommen sein: Eine Verlängerung des Atems, Externalisierung eines banalen körperlichen Vorganges. Eine lange Geschichte. Das Trio de Clarinettes blickt aus einer erstaunlich avancierten Perspektive auf diese Geschichte zurück. Jacques di Donato, Louis Sclavis und Armand Angster beherrschen ihre Instrumente, bei allem Respekt vor dem großen Wort, perfekt. In dieser Perfektion ist keine Kälte, sondern eine kaum auszumessende Freiheit, sich auf den klingenden Augenblick einzulassen. Und Freiheit ist ansteckend (vielleicht hat uns das so zufrieden gemacht?). Archaik und Perfektion bilden nicht unbedingt einen Widerspruch. Wer das Trio de CIarinettes live gehört und gesehen hat und den Vergleich zum vorliegenden Mitschnitt vom Total Music Meeting 1990 ziehen kann, wird merken, welch ein hohes Maß an identischer Reproduzierbarkeit dieser Musik eignet; das ist ohne technische Perfektion eben nicht zu haben. Trotzdem verbreitet sich im Konzert der untrügliche Eindruck, dass die Musik gerade eben, wo sie gespielt und gehört wird, auch entsteht. Zwischen komponierten und improvisierten Passagen entsteht in der Spielhaltung kein Bruch - auch nicht, wenn es einen strukturellen und hörbaren Bruch an der Oberfläche der Musik gibt. In jedem Augenblick sind die drei Klarinettisten in ihrer Musik zuhause wie in sich selbst. Klarinette zu spielen ist eine Bereicherung im Klangspektrum des Atmens (war es der Atem, der uns auf den Stuhl gehoben hat?). Man könnte eine Beschreibung der Musik hinzufügen. Eine Charakterisierung
der einander umspielenden Linien: der warmen, runden, der schrillen, expressiven,
ekstatischen, der schnalzend-perkussiven Klänge dreier Klarinetten
in verschiedenen Tonlagen, in deren Reibungen sich Ähnlichkeiten
und Kontraste abwechseln; der gedehnten Zeit des zirkularbeatmeten Solos.
Man könnte ein tänzerischanmutiges Thema aus Sclavis' imaginärem
Folklore-Kästchen hervorheben oder ein langes Boulez-Zitat, die rhythmische
Prägnanz, die elementare Wucht in den tiefsten Lagen der Kontrabassklarinette,
die kitschfreie melodische Konsequenz eines Solos. Man könnte. Wozu? Eines ist angesichts von Perfektion immer statthaft: Naivität. Einfach
schön finden und überhaupt nichts bemerken, was noch besser
sein könnte. Das Trio als kompakte, archaische Einheit. Musik, die
mehr ist als das summarische Ergebnis dreifacher Anstrengungen. |
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