FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 45

Alexander von Schlippenbach

 

"20th Anniversary"

Wenn J. E. Behrendt in seinen Büchern schreibt, wir waren die Ersten gewesen, die rein improvisierten Jazz in großer Orchesterformation gemacht hatten, so brauchen wir uns darauf - auch wenn er Recht hat - nicht all zuviel zu Gute zu halten. So manche Kollegen hatten damals ähnliches im Sinn, und die Jazzgeschichte war schon vor Beginn der 60er Jahre an einen Punkt gelangt, wo die ersten Versuche gemacht wurden, die traditionellen Formen zu sprengen.

In diesem Sinne hatten wir bereits von Tristano, Taylor und Ornette Coleman gelernt - aber auch Schönberg gehört und mit Bernd Alois Zimmermann gearbeitet, als wir 1966 durch günstige Umstände zu den ,,Berliner Jazztagen" mit einem 14Mann-Orchester und einem von mir dafür gemachten Stück mit dem Titel ,,Globe Unity", auf die Philharmoniebühne gehievt wurden, um sogleich einen feinen Skandal zu provozieren, der zum Sprungbrett einer richtigen Karriere werden sollte.

Von der Presse in Grund und Boden verdammt (,,Männerulk; Hexenkessel, bei dem Peter Brötzmann den Part des Leibhaftigen spielte") und in den Himmel gehoben (,,Jazz mit Kunstmusik verschmolzen"), wurde GLOBE UNITY auf einen Schlag ziemlich berühmt und unter J. E. Behrendts Patenschaft und Aegide ging es auch gleich weiter. Noch im selben Jahr wurde bei SABA unsere erste Schallplatte mit dem Titel ,,Globe Unity" produziert. 1967 traten wir mit 18 Musikern bei den ,,Donaueschinger Tagen für Neue Musik" auf und spielten in den darauf folgenden Jahren bei fast allen bedeutenden Jazzfestivals in Europa. So ging es bis 1970 ziemlich gradlinig aufwärts, bis ein Streit über ein von Krysztof Penderecki versprochenes Stück, das 1970 zu den Berliner Jazztagen in der Kongresshalle von GLOBE UNITY aufgeführt werden sollte, vom Komponisten aber nie geliefert wurde, die Zusammenarbeit mit Behrendt beendete.

Die darauf folgende, so genannte ,,Wuppertaler Zeit" von 1970 bis circa '77 ist durch starke Veränderungen und sehr unterschiedliche Einflüsse auf das Programm und die Arbeitsweise der Band gekennzeichnet. Hatte es bis dahin ausschließlich Stücke von mir gegeben, die ziemlich konsequent aus den neuen Errungenschaften (freie Atonalität, aufgelöstes Metrum etc...) sowie unter strenger Vermeidung traditioneller Formen und Elemente entwickelt waren, so wurde ab jetzt, vor allem durch die Ideen von Peter Kowald, mit dem ich mir in dieser Zeit die Bandleitung teilte, unser Programm wesentlich bunter, was neue Impulse gab, aber auch zu allerlei Verwirrung führte - nicht zuletzt durch eine Hereinnahme politischer Elemente im Sinne der damaligen Bewegungen (Sozialisierung auch der Kunst usw.) - und die Band schon damals in einen rechten und linken Flügel spaltete. Hatte die Presse uns schon '66 als ,,buntkarierten Haufen" beschimpft, nur weil Brötzmann beim Philharmonieauftritt keine Krawatte, und Mani Neumeier ein Afroüberstülphemd und eine Fellachenmütze getragen hatte, so war jetzt rauer Prolo Look angesagt (Glatzköpfe, Bärte, gewaltige Zimmermannshosen mit schweren Hosenträgern). Ein starker Einfluss aus Holland machte sich bemerkbar und es gab Humoristisches sowie Eisler und Kurt Weill in teilweise ausgezeichneten Arrangements von Willem Breuker.

Wir versuchten uns beim Moers Festival mit dem städtischen Blasmusikkorps zu verbrüdern und gingen auf die Straße um am Samstagnachmittag in der Elberfelder Fußgängerzone aufzuspielen, so dass manch einer überraschten Wuppertaler Hausfrau die Einkaufstasche aufgegangen sein mag. Viel Musik ist dabei auf der Strecke geblieben und edle Töne aus Kenny Wheelers Trompete verpufften oft genug im Nirwana, aber es war eine gute Übung und als bestimmte Phase für unsere Stilbildung von großer Bedeutung. Am signifikantesten ist diese Wuppertaler Zeit auf der Po Torch Platte ,,Jahrmarkt" dokumentiert, ein Kowald Projekt, bei dem sich diverse Ensembles sowie GLOBE UNITY aus verschiedenen Richtungen auf den Laurentiusplatz in Wuppertal - Elberfeld zu bewegten, und die allmähliche Verschmelzung ihrer Musiken auf Tonträger festgehalten wurde.

Für die Plattenproduktion und weitere Präsentation von GLOBE UNITY in höchstem Maße bedeutend war die, seit 1970 bestehende, intensive Zusammenarbeit mit Jost Gebers und der Free Music Production. Bei FMP wurden fünf LPs und zwei Singles produziert. Wir hatten mehrmals die Gelegenheit bei den repräsentativen FMP-Veranstaltungen ,,Workshop Freie Musik" und dem ,,Total Music Meeting" in Berlin aufzutreten, wo es zu dieser Zeit das größte und beste Publikum für unsere Musik gab. Am Schlusspunkt dieser ,,Zweiten Phase" steht die erste Plattenproduktion für ECM mit dem Titel ,,Improvisations". Danach stieg Brötzmann und Paul Rutherford aus. Aber auch Kowald und ich drifteten immer mehr auseinander, bis einen schönen und diskussionsreichen Abends, an dessen Ende es noch zu Handgreiflichkeiten in einer Wuppertaler Kneipe kam, auch dieses Kapitel zu Ende ging.

Ich machte alleine mit GLOBE UNITY weiter und wir kamen mit gutem Drive voran, mit einer noch von Brötzmann gestifteten Windrose auf der Flagge - ein musikalisches Narrenschiff auf großer Fahrt! Das Goethe-Institut schickte uns um die halbe Welt, und wir brachten den Free-Jazz von Toronto über New York und Bombay bis in den Dschungel von Java. Die Presse ereiferte sich und zieh das Goethe-Institut des Kulturimperialismus. Journalistischer Schlagabtausch im ,,Jazzpodium" und in der ,,Neuen Zeitschrift für Musik" war an der Tagesordnung. All das mehrte unseren Ruhm, zumal wir 1981 den DOWN BEAT ,,Jazzpoll" gewannen und noch zwei weitere LPs bei ECM herauskamen. Das Goethe-Institut hatte die Courage uns trotz der Presseanfeindungen noch nach Israel, Griechenland, Jugoslawien und die U.S.A. auf Tournee zu senden. 1986 begingen wir unser 20jähriges Jubiläum in der Berliner Philharmonie mit dem auf dieser CD veröffentlichten Auftritt und spielten im Jahr danach beim Jazzfestival in Chicago vor 92.000 Zuhörern zum letzten Mal.

,,20th Anniversary" repräsentiert unseren Stil, den wir uns in den letzten 20 Jahren erspielt haben. Eine ,,er-improvisierte Form", so vage wie möglich als ,,Free Jazz Orchesterkonzert" definiert und oft kritisiert wegen der sich immer wieder nacheinander ergebenden Soli. Dazu muss gesagt werden, dass unsere Musiker auch außerhalb der Tutti-Improvisationen gehört werden wollten (und sollten). Die somit hinreichend gekennzeichnete, äußere Form unseres Auftrittes mit reiner Improvisation ist damit auch aus einer inneren, musikalischen Notwendigkeit begründet. Wenn sie auch jedes Mal in etwa dieselbe blieb, so waren doch alle unsere Stücke sehr verschieden. Das Unvorhergesehene war ebenso Form bildende Kraft, wie die Kapazitäten der Spieler und das lange gemeinsame Training in der ,,Live-Situation" vor Publikum.

,,20th Anniversary" ist allen Musikern gewidmet, die jemals in GLOBE UNITY gespielt haben.

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