FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 65

Willi Kellers

 

Wie uninteressant eigentlich, dass ein Musiker einen CD-Begleittext schreiben soll, - darf, - warum nur, - gibt es keine Kritiker mehr, deren Aufgabe dies ja nun sein sollte, - haben die's vielleicht aufgegeben, nur Mut Kollegen von der Schreibenden Zunft, auf zu neuen Ufern! - Doch sei's drum.

Unsere Sängerin Julie hat eine Vergangenheit als Weltstar in der Popmusik wie wir wissen, und nicht mehr hören wollen; und meine Ohren waren an ihre Stimme gewöhnt, weil sie meine "wildesten Jahre" - eine ganz normale Jugend in einer deutschen Kleinstadt - begleitet hat. Doch als die gemeinsame Arbeit an den Improvisationen begann, merkte ich, dass genau das was ich vorher als Klischee bemerkte, nichts, aber auch gar nichts, mit ihrer Kunst, sondern mit meinen Ohren zu tun hatte; - da saßen die Klischees!

Zeitungskritiker zu den Berliner Jazztagen schleppten weitere Klischees aus den verborgendsten Löchern - Eskimogesänge, Gesänge der Soumi (Lappen), etc. Diese formalen Beschreibungen sind zwar schmeichelhaft, doch können sie Kunst, die Gesangskunst von Julie Tippett nur umschreiben, nicht beschreiben, was mir an dieser Stelle ebenfalls nicht gelingen kann und wird.

Ich spüre im Zusammenspiel eine Art Harmonie der Farben, - Klangfarben und Stimmungen - kontra punktiert durch eine Spielweise serieller Ekstase, - ein Verschmelzen von Klavier und Schlagzeugklang. Wenn es zur Beruhigung des Verlaufs der Musik kommt, ist die Ruhe tiefer - weiter, die Ekstase farbenreicher als sonst.

Ich denke an meine Wohnung in Köln, das WDR Fernseh-Team im Wohnzimmer, Motto der Veranstaltung: "Julie der Popstar - und was ist heute." Und wieder eine neue Falle, ein Klischee der anderen Seite. Vor der laufenden Kamera fragt uns das Team: "Und ihr geht einfach auf die Bühne und spielt? Und wie macht ihr das?" Und wieder unser, wie ich finde, sympathisches Gestammel als Antwort von uns Dreien; - diesmal versuchten wir mit unseren Antworten der Wahrheit am nächsten zu kommen. - Ein Trick? - unser Gefühl dem Publikum zu beschreiben. "Wir spielen für, aber nicht gegen uns!" Kollegen ist der Konzertabend zu jazzig - zu poppig - zu folkloristisch - zu - was weiß ich, - aber gut gespielt, wird bemerkt!

Mann und Frau kann nur aus seiner und ihrer Geschichte, mit den im Körper gepflanzten Erinnerungen (Erfahrungen?) improvisieren um ehrlich zu bleiben, sonst funktioniert unsere Musik nicht. Kein spekulatives Spiel, kein Weglassen ist möglich. Das ist die Freiheit dieses Trios.
Der Ansager des Kölner Jazzhausfestivals fragte welche Musik wir machen. - Europäischen Jazz? improvisierte Musik? Avantgarde? zeitgenössische Musik? (von was dürfen's denn 100 Gramm mehr sein?) - mindestens drei Antworten pro Mann und Dame - so geht es auf die Bühne.

Irgendjemand wird in 200 Jahren die Antworten in ein Kästchen gestopft haben, um davon zu berichten.

"Ich hasse Egoisten", - mein Kommentar zu Keith nach dem Nickelsdorf Festival. Bin ich wieder Opfer meiner eigenen Klischees, - gibt es Kampf? - Keith ist ein wunderbarer Solospieler, doch ich nehme mich zurück, es sind zu viele Informationen, die Musik klebt nicht in der Atmosphäre, sie staut sich . - Das Spiel in diesem Trio ist anders, konkreter und einfacher als die schnelle Idee!

Im Rathaus Leipzig herrscht eine hallige Akustik. Keith spielt Akkordcluster, er tremoliert, rhythmisiert, die Klavierssaiten scheinen sich zu überschlagen.
"Hast du den Chor gehört?" Es entsteht für mich eine neue Musik aus Klängen, aber auch Gefühlen. - Jene merkwürdige Harmonie, die charakteristisch für dieses Trio ist, liegt im Raum, kriecht in meine Trommeln, kratzt, schabt und klebt an ihnen. Ein einfacher Akzent schließt, katapultiert in eine andere Welt. Julie und Keith schauen mich an, es ist Stille, doch die Musik geht weiter im Kopf und in den Herzen.

Der Garten ist groß in Wotton-under-Edge. Ich bin auf Tour in England mit Hannes Bauer und Alex Maguire. Ein Stopp nach einem Gig in "Band on the wall".
Alles scheint weiter bei den Tippett's, der Garten, die Freundschaft, die Wärme - und auch eine gezogene Konsequenz für's Leben - (we die for it).

Physisch überrage ich die beide an Körpergröße, doch manchmal fühle ich mich "klitzeklein" zwischen diesen wunderbaren Kollegen.

Auf einem Fest in Leeds fragt mich jener "bekannte" Kritiker auf einer Party, was ich denn von meinen Kollegen halten würden würde? "Ich habe ihnen noch nie zugehört und kann's dir deshalb nicht sagen", antworte ich dem Herrn aus der Provinz, der mich natürlich verwundert anschaut.

In einem Konzert in meinem Sessel will und kann ich Dinge anhören und kritisieren, nicht aber, wenn ich tief im "Schlamassel" auf der Bühne die Welt erobern muss! - oder der gemeinsame Moment des Spielens keinen Raum lässt, bewertend zuzuhören. Auch ein Zeichen, wie tief ich während der Konzerte in der Klangwelt des Trios gefangen und befangen bin.

Es ist kompliziert, die Plinky Plonks hassen Keith - Julie lieben sie, - bei mir sind sie sich nicht sicher. Plinky Plonks sind die Freunde und Kollegen der improvisierten Musik, die sich bewusst in ihrem Improvisationen der zeitgenössischen Musik verpflichtet haben, mit all' ihrer Unendlichkeit und Eingeschränktheit.

Mein Lieblingsschlagzeuger Milford Graves nun wieder, hasst Neue Musik und sagt, dass alle kreativen Kollegen, - er meint damit die Improvisatoren und Jazzmusiker - mehr zu erzählen haben, als all' die Schreibtischabenteurer zusammen. Ich persönlich kann keinen Standpunkt teilen, der andere Ebenen als gute oder schlechte Musik zulässt.

Eigentlich ist das Trio in keinem "Lager" zu Haus! Dass Improvisation eine Schere im Kopf haben soll, scheint mir der Sache gegenüber verräterisch. Keith beginnt seine Improvisationen oft mit einem Dur-Akkord, ich glaube die mag er, - oder er beginnt mit einem tiefen Tremolo. Er spielt in den höchsten Lagen des Flügels Triller, so dass Klinkersteine auf die Baustelle purzeln und das Konzert beginnt. Julies bluesig röchelnde Tiefen (Beschreibung und Klischee!), selbst ihre, als "Folklorekram" ab getanen, kunstvollen Melodiebögen, kann ich durch das Mitleben dieser Musik, und das ist etwas anderes als - "zu hören und reagieren" - aber auch gar nichts an, wie es ein Kritiker (oder war es ein anderer) beschrieb, als "Kitsch" empfinden. Da ich ja gelernt habe, dass Kitsch bedeutet, dass der Inhalt weit unter der Form verschwindet, wenn's so wäre, wäre ich auch in dieser Fraktion und wischte mit voller Begeisterung eine Träne vom Trommelstock.

Die Tippett's haben das, wovon jeder Musiker und jede Musikerin scheinbar träumt, eine Karriere im kommerziellen Sinne aufgegeben, und gerade das macht sie ja in ihrer Materialbeherrschung so interessant und souverän.

Beim Improvisieren geht es um das Material was angeboten werden kann. Julie, Keith und ich erleben in fast jedem gemeinsamen Konzert eine Erweiterung dieses musikalischen Materials, als Einzelmusiker, vor allem aber als homogenes Trio

Mein Freund Phil Minton meinte, dass der WDR Interviewer eigentlich die richtige Frage gestellt habe, dass Julie doch eigentlich unter ihrem weltberühmten Mädchennamen weiter auftreten solle, um dann wirklich zu hören, wohin sich ein Star entwickelt.

Die Zeiten sind härter geworden, es gibt Rat und Ratlosigkeit genug, und wir hoffen, dass keiner von uns in ein anderes Musikgenre abdriften muss, um seine Familie zu ernähren. Die ökonomischen Krisen in unseren Heimatländern England und Deutschland haben dazu beigetragen, dass wir in letzter Zeit weniger zusammen arbeiten konnten.

Dieses wird und muss sich wieder ändern, denn dass Menschen unsere Musik hören wollen, ja brauchen, wie uns von Hörern gesagt wurde, erlebten wir auf zig Konzerten und Festivals. Dass diese Arbeit, wenn wir durch Veranstalter und Manager die Chance dazu bekommen, vom Publikum angenommen und geliebt wird, haben wir ständig erlebt.

In einem Zyklus von etwa 5 Jahren treffen wir jüngere, neue, zusätzliche Zuhörer in unseren Konzerten. Auf zumutbarem Niveau zu arbeiten wird schwieriger, es fehlen neue Ideen der Verwertbarkeit und der Erreichbarkeit verschiedener Publikumsschichten.

Mut fehlt auf allen Seiten - das liegt nicht an unserer Musik, sondern am Zustand unserer Gesellschaft! - Was uns, und damit meine ich nicht nur dieses Trio, fehlt, ist so etwas wie eine bürgerliche Lobby, auf die andere Bühnenkollegen - ich denke etwa ans Theater oder die "Klassiker" - verweisen können. Vielleicht sind wir aber auch die Ratten, die als erste das sinkende Schiff verlassen - und zu neuen Ufern schwimmen?

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