FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 74

Joe Sachse

 

FREIHEIT FÜR "DoppelMoppel"
(die "Fackel" für eine Improvisationsgruppe)

"Nichts beweist mehr gegen eine Theorie als ihre Durchführbarkeit".*)

Als die Brüder Conrad und Johannes Bauer beschlossen auch 'mal eine gemeinsame Gruppe zu gründen und zu diesem Zweck jeweils einen Musiker mitzubringen, entstand die Formation, die ihrem Namen nach eher an eine sächsische Textilfabrik oder an eine der arg lustigen Folkloregruppen denken lässt. Die Doppelung der Instrumente war wohl Zufall, in Wahrheit waren Conrad und Johannes mehr an der Musikalität und dem Gestaltungswillen von Uwe Kropinski und einem gewissen Joe Sachse interessiert.

"Es gibt Persönlichkeiten im Staat, von denen man nichts anderes weiß, als dass sie nicht beleidigt werden dürfen." "Eine Gesellschaftsform, die durch Zwang zur Freiheit leitet, mag auf halbem Wege stecken bleiben…"*)

Jazz in Ostdeutschland in der "Diktatur des Proletariats" hatte mehr Freiheit als international geglaubt und mehr Freiheitssehnsucht als Innerlandes angenommen. Die günstigen Arbeitsbedingungen gestatteten Conrad Bauer jedoch die Band wöchentlich in Berlin improvisieren zu lassen. Dank seiner Persönlichkeit und Klasse kamen auch der virtuose Techniker Uwe Kropinski, der intellektuelle Philosoph Johannes Bauer und der "humorvolle Anarchist" 1) Joe Sachse auf einen Nenner.

"Es ist Freiheit notwendig, um zur Erkenntnis zu gelangen. Aber in dieser sind wir dann mehr eingesperrt als im Dogma."*)

Seit dem Fall der Mauer spielt DoppelMoppel wieder regelmäßig zusammen, was vorher nicht so einfach war, weil Uwe Kropinski seinen Wohnsitz nach Westdeutschland verlegt hatte, obwohl es selbst zu dieser Zeit ab und zu gelang.

Die Bedingungen für DoppelMoppel sind nun anders und ähnlich zugleich: Anders, weil in der Überflussgesellschaft auch der musikalische Schwachsinn im Überfluss vorhanden ist und gut verpackt das Volk, den folgsamen Lümmel, einlullt, d.h. die langjährige trügerische Akzeptanz bei vielen unzufriedenen Oppositionellen beendet war. Ähnlich, weil die Jazzstrukturen auf der ganzen Welt gleich sind und die vielen persönlichen Beziehungen zu Musikern, Managern und Schallplattenfirmen weiterexistieren.

"Der Fortschritt muss ein Zimmerputzer sein: er bewegt sich und kommt nicht vom Fleck und macht dennoch ein Parkett blank. Was ihn aufrecht hält, das ist der äußere Glanz und ein Schein von Freiheit."*)

Der Schein von Freiheit in der neuen Gesellschaft, der Insidern nur ein müdes Lächeln entlockt, lässt die Revolution sich auf das Musikalische beschränken ("Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt.")2) Und hier bin ich beim eigentlichen Punkt angekommen: der Freiheit der freien Improvisation.

"Oft ist sie einfach ein Sich-gehen-lassen"…"Sie ist unwirklich"…sagt John McLaughlin, aber auch: "Ich weiß, theoretisch ist es richtig, frei zu spielen…*3)

Natürlich würde man auf die Frage, was die DoppelMoppel Mitglieder veranlasst im Gruppenkontext frei zu spielen, vier unterschiedliche Antworten bekommen. In einer Zeit, die Musik als Ware betrachtet, wird jeder verdächtig, der idealistische Gründe dafür angibt eine Sache zu tun, die fast niemand braucht. ("Der Unechte glaubt an keine Echtheit. Und glaubte er, er würde nicht begreifen, wie man echt sein könnte. in einer Zeit, in der es wirklich niemand nötig hat, echt zu sein.")*) Wann dorisch und mixolydisch gespielt werden soll, lernt heute jeder Musikschüler. Die Schönheit einer gut gelungenen freien Improvisation jedoch ist unbeschreiblich. Sie ist ein wahres Glücksgefühl und versöhnt auch bei weitem mit den natürlicherweise weniger gelungenen Parts. Letztere geschehen bei DoppelMoppel nicht allzu häufig. Davor schützt die lange gemeinsame Spiel Erfahrung, das neue Material, was jeder Musiker, bedingt durch seine Aktivitäten außerhalb der Gruppe mit einbringt und nicht zuletzt die Fähigkeit solistisch das Geschehen sofort an sich zu ziehen und damit Durststrecken zu beenden.

"Wenn ein Künstler Konzessionen macht, so erreicht er nicht mehr als der Reisende, der sich im Ausland durch gebrochenes Deutsch verständlich zu machen sucht."*)

Die Glanzzeit der frei improvisierenden Szene ist längst vorbei. Viele Musiker haben sich auf rhythmisch-harmonische Überlebensflöße gerettet. Wenige, darunter auch DoppelMoppel, sind übrig geblieben. Freies Verfügen über alle Möglichkeiten war die Devise vieler ostdeutscher Free-Jazzer. Diese Maxime, die mehr eine Erweiterung als eine Einengung beinhaltet, ist der Grund, warum DoppelMoppel 'mal wie eine Rockband, 'mal wie eine Swingband und 'mal wie ein Wagnersinfonieorchester anmutet. Und sie ist eine Liveband und spielt im Studio anders als auf dem Festival oder im Konzert.

"Die Technik ist ein Dienstbote, der nebenan so geräuschvoll Ordnung macht, dass die Herrschaft nicht Musik machen kann."*)

Überall in den europäischen Städten und Gemeinden herrscht Lärm: Autos quietschen, Sirenen heulen, Schüsse knallen, Frauen kreischen, Proletarier und Handwerker dröhnen sich mit überlauten 4/4-Schlägen in ihre Boulevardblätter, Baumaschinen schicken ihre tiefen Schwingungen in weit entfernte Haushalte und jedes Gewerbegebiet gleicht einem Tollhaus. Der einzige Ort, wo das Publikum Geräusche nicht zu dulden scheint ist der Konzertsaal. Dort scheint die Ästhetik und die Unverbindlichkeit der Fahrstuhlbeschallung gefragt zu sein. Eine Tatsache, die beweist, dass der Zustand "in dem wir leben der wahre Weltuntergang ist: der stabile".*)

Darauf einen DoppelMoppel!

Zitate
*)Karl Kraus Aphorismen: "Sprüche und Widersprüche", "Pro domo et mundo" und "Nachts", Suhrkamp1986deren Grundlage die "Fackel" von Karl Kraus aus dem Jahre 1924 bildete.
1) Zitat aus "Norddeutsche Neueste Nachrichten" vom 20.6.1995
2) Zitat aus "Schnipsel" von Kurt Tucholsky, Rowohlt 1973
3) Zitate von John McLaughlin, Paris-Interview mit Joachim Ernst Berendt aus "Das Jazzbuch", Fischer 1994

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