FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 77

Roland H. H. Biswurm

 

Der 29ste Oktober 1995 ist ein Sonntag. Berlin ist grau und nass. Butch Morris, Jahrgang 1947, von sonnigem kalifornischem Gemüt, öffnet die Tür und empfängt den durchnässten Fragesteller zum Tête-à-tête, zum Interview. Morris ist als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes fast zwangsläufig Gast von FMP.
Butch Morris wird einen etwas ungeordneten Haufen von Individualisten zum Ensemble dirigieren, beim Total Music Meeting.
Ja, er spiele Klavier, Posaune und andere Instrumente, er komponiere und er improvisiere, - im Dirigat aber vereinigt sich alles zu einem organischen Ganzen: "Eine physikalische Sache, ein Ding der Chemie, das ist alles…"
Wieder einmal lacht Lawrence "Butch" Morris laut und herzlich, weil ich, durchnässt vom Berliner Herbst, solche Fragen stelle.
"Eigentlich bin ich der beste Blechbläser in meinen Gruppen, aber wenn so viele beisammen sind, kann ich den Überblick nur dann behalten, wenn ich da vorne stehe und mit einem gewissen Abstand den Sound höre…"
Diesmal also wird Lawrence "Butch" Morris nicht ins Horn stoßen, welches ein Kornett ist, nicht Trompete. Und selbst dafür hat Morris gute Gründe: "Es ist ein ganzes Stück näher bei dir, du hast mehr Kontrolle über den Ton, es ist einfach etwas Organischer", sagt Morris. Und: "Es mag ja etwas altmodisch sein, aber mehr und mehr Musiker verwenden das Kornett wieder. Olu Dara oder Bobby Bradford haben auch schon damit angefangen."

Der 29ste Oktober 1993 ist ein Freitag, ein freier Tag, eingebunden ins Total Music Meeting, eingebunden in ein, nennen wir es "freeflow of consciousness", ein freies Pulsieren verschiedenster Bewusstseinszustände. Folgerichtig ist ein Trio ein Dreieck, nicht unbedingt gleichschenklig, dennoch gleich-gültig.

Lawrence "Butch" Morris spielt Kornett, ein Blechblasinstrument, der Trompete nicht gänzlich unähnlich. Morris spielt es mit Verhalten im Ton, mit anhaltendem Aushalten von Sound, Morris spielt Raum - kein Protzen, kein Strotzen und Strahlen - Morris ist kein Macho, auch wenn er metallen räsoniert - quasi schwermetallen.

J.A. Deane, Jahrgang 1955, spielt Posaune, ein Blechblasinstrument, der Trompete nicht gänzlich unähnlich. Deane verfremdet Klang - elektronisch, wenn es sein muss. Und es muss sein. Deane taucht ein in einen ständig bewegten Prozess, der gleichwohl ein theatralischer, ein dramatischer ist. Deane hat Unerhörtes von Christoph Marthaler oder Sam Shepard zum Klingen gebracht.

Lê Quan Ninh, Jahrgang 1961, spielt Perkussion mit Blech, mit Zimbeln, Gongs und allem, was klingt. Lê Quan Ninh grundiert, fokussiert, pointiert - und musiziert metallen - schwermetallen, in der Tat.

Das ist alles.

Worte wie Klänge.

Das Trio musiziert in und mit einer Intimität der Kammer und doch ist nichts Hermetisches, nichts Verschlossenes im Klang: alles ist offen - und doch: ein merkwürdiges Paradox. Zwei Jahre danach - der Regen hat aufgehört. Butch Morris bläst eine dieser signifikanten Rauchwolken ins Grau - burning clouds.

Das macht Sinn.

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