FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music | 1989-2004 |
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FMP CD 122 Steve Lake |
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FRACTURED DIMENSIONS Er kommt aber auch in eine Band, deren Mitglieder ihre gegenseitige Kompatibilität seit langem unter Beweis stellen und noch dazu auf sehr hohem Niveau harmonieren. William Parker, Roy Campbell und Daniel Carter spielen seit 1982 in Other Dimensions, Campbell und Parker arbeiten seit 1978 in diversen Bands zusammen (darunter ein Jahrzehnt mit Jemeel Moondoc), und Campbell und Carter trafen sich erstmals circa 1974 auf der Bühne. Gemeinsam haben sie unendlich viele Erfahrungen gesammelt, Fähigkeiten perfektioniert und neue Techniken entdeckt, in den unterschiedlichsten Quasi-Underground- und So-gerade-eben-Overground-Bands, von den letzten Zuckungen der so genannten Loft-Szene bis heute. In Europa mussten wir uns meist damit begnügen, Aspekte ihrer Geschichte über eine Handvoll Platten mitzuerleben, die nicht immer leicht zu finden waren – und ohne- hin nur einen Teil der Geschichte erzählen können. Allerdings besteht mittlerweile kein Zweifel mehr, dass William Parker in dieser Musik eine absolut zentrale Rolle spielt. Sein mächtiger Sound, der wie bei Mingus, wie bei Wilbur Ware, aus dem gewaltigen Abstand zwischen Saiten und Griffbrett entsteht, hat ein Echo in vielen Gruppen hinterlassen – von den großen und kleinen Ensembles von Cecil Taylor, Don Cherry und Peter Brötzmann (Parker ist derzeit elfter Mann in Brötzmanns Energie geladenem Chicago Tentet) über David S. Wares Quartett, Matthew Shipps Trios, Charles Gayles’ Bands, Roy Campbells Pyramid Trio, einem Duo mit Hamid Drake und Roscoe Mitchells Note Factory bis zu eigenen Projekten wie In Order To Survive und dem Little Huey Creative Music Orchestra sowie einigen Dutzend weiterer Gruppen. Parker ist derart all-gegenwärtig, dass man sich mitunter fragt, ob die Einschätzung der Village Voice, er sei „der in seiner Brillanz beständigste Free-Jazz-Bassist aller Zeiten“ tatsächlich weit genug geht. Die positive Energie, die in seinem Spiel liegt, und seine Überzeugung, Musik müsse dem menschlichen Geist Auftrieb verleihen, machen jede Begegnung mit Parkers Musik wertvoll. Roy Campbell gehört schon seit Jahren zu den viel versprechenden Vertretern einer neuen Generation. Einige von uns haben ihn vielleicht in Ebba Jahns Film “Rising Tones Cross” (1984) gesehen, wo er in den Gruppen von Charles Tyler, Jemeel Moondoc und Peter Brötzmann brillierte. Campbells Vater, selbst Musiker, hatte Anfang der 50er Jahre mit Ornette Coleman gespielt, und Roy Juniors Einstieg in die Musik war daher eine natürliche und logische Entwicklung. Mit 15 traf er Lee Morgan, ein frühes Vorbild, nahm später an Workshops mit Morgan, Kenny Dorham und Howard McGhee teil und studierte intensiv auch bei Yusef Lateef. Er verfügt über eine unglaubliche Technik, ein großartiges Ohr und einen Sound, den man eigentlich nur als „soulful“ beschreiben kann – kräftig, glanzvoll, warm und so stark oder sanft wie es der jeweilige Kontext erfordert. Campbell fühlt sich in allen Bereichen des New Jazz zu Hause – und in allen Tonlagen; er kann mit Brötzmanns Die Like A Dog Quartett Zunder geben, sich über dem Malstrom von Alan Silvas Sound Visions Orchestra emporschwingen oder mit Joe und Mat Maneri lyrisch-schmelzenden Mikrotonal-Improvisationen frönen. Sein Horizont ist auch nicht durch Jazz im weitesten Sinne begrenzt. Vor einiger Zeit meinte er im Interview mit dem Internet-Journalisten Fred Jung (www.jazzweekly.com): „Ganz gleich, welchen Punkt eines Kreises du triffst, es bleibt immer ein Kreis. So sehe ich auch die Musik: Ich stehe nicht nur auf Jazz, sondern auch auf Reggae, Country, klassische Musik, Weltmusik.“ Pan-globale Stimmungen und Rhythmen spielen eine wichtige Rolle im Pyramid Trio, seiner Gruppe mit William Parker und Hamid Drake. Das Buch „Avant Garde Jazz Musicians: Performing ‚Out There‘“ (University of Iowa Press 1993) beschrieb Daniel Carter als einen Musiker, der in der immer wieder aufflammenden Debatte zum Thema „Komposition oder Improvisation“ bzw. „Musik als Kunstform oder Musik als Lebensform“ extreme Positionen bezieht. Nicht nur lehnte Carter, wie der Autor David Such berichtet, damals jeden Job ab, der ungebührliche Unterwerfung unter das Diktat einer Partitur erfordert hätte, er weigerte sich auch, irgendwelche Unterschiede zwischen Auftritt, Probe und Üben zu machen – für ihn begann „der Gig“ oftmals schon auf der Fahrt dorthin, und das Publikum konnte ihm dort auf halbem Wege begegnen. Daniel Carter einen „Stil“ zuzuordnen, fällt schwerer als bei den anderen hier Beteiligten. Auf „Fractured Dimensions“ spielt er schöne Sachen auf verschiedenen Instrumenten. Mich erinnert das etwas an die Rolle, die Joseph Jarman im Art Ensemble zu spielen pflegte, als frei schwebender Klangbildhauer und gänzlich unberechenbarer Universal-gelehrter, ein Hort des Wissens und der Geheimnisse. Dass Carter auch Dichter und Songschreiber ist, darauf deutet schon die unergründliche aber faszinierende Lyrik seines Spiels hin. Einige frühe Einflüsse: die New-Jazz-Innovatoren der 60er, die Klangwelten von Komponisten wie Schönberg, Boulez und Stockhausen, und James Joyces „Finnegan’s Wake“. Carter hat mit Cecil Taylor, Sam Rivers, Ted Daniel, Gunter Hampel, Matthew Shipp, Bob Moses, Earl Freeman und vielen anderen sowie in den eigenen Gruppen The One World Ensemble und Test gespielt. Mit Alan Silvas Leben und Taten könnte man ein Buch füllen. Während der Oktoberrevolution des Jazz stand er natürlich an vorderster Front. In den 60er und 70er Jahren spielte er mit Sun Ra, arbeitete viel mit Bill Dixon, auf der Bühne und im Studio, spielte in Cecil Taylors epochalen Gruppen (dokumentiert auf „Unit Structures“ und „Conquistador“) und in Albert Aylers ähnlich vitalem „Greenwich Village“-Ensemble. Nach Europa trieb ihn dieselbe kulturelle Flutwelle, die die AACM-Bands und andere Besucher über den großen Teich spülte. 1969 gründete er in Paris sein Celestrial (sic) Communication Orchestra, eine der ersten Bigbands, die „geführte“ freie Improvisation praktizierte und dabei eine Methode anwendete, die heute als conduction bezeichnet wird. Einen Großteil der 70er verbrachte er als Mitglied des Frank Wright Quartetts, das Free Jazz der besonders radikalen Sorte zu Gehör brachte. Ein paar Tourneen und Aufnahmen lang war er auch bei Alex Schlippenbachs unsterblicher Gruppe mit Evan Parker und Paul Lovens dabei, ebenso wie beim 20. Geburtstag des Globe Unity Orchestras 1986. Dann ließ er sich über zehn Jahre nur noch selten blicken. Als er wieder auftauchte, hatte der Bassist, dessen klagender Bogenklang hervorstechendes Merkmal vieler großer New-Jazz-Momente gewesen war, fast nur noch den Synthesizer im Gepäck. Einen der ersten Auftritte in seiner neuen Funktion absolvierte er mit dem Tradition Trio, in Gesellschaft des deutschen Posaunisten Johannes Bauer und des britischen Schlagzeugers Roger Turner. Synthesizer spielte Silva bereits auf einem 1998 erschienenen Duo-Album mit William Parker. „A Hero’s Welcome“ (auf Eremite) markierte seine Wiederaufnahme in die amerikanische Improv-Gemeinde. Einige Hörer zeigten sich über die Wahl des Instruments verwundert, doch dahinter steckt eine Logik, die typisch ist für Alan Silvas Lebenswerk. Er hatte versucht, mit dem Bass orchestrale Farben anzudeuten, war mit seinen improvisierenden Orchestern auf die Suche nach stärkeren, helleren Farben gegangen, und mit seinen elektronischen Instrumenten verfügt er nun über eine quasi-orchestrale Bandbreite. Hier reizt er das gesamte expressive Potenzial der Roland XP-50 Workstation aus, und wenn er mitunter auf nicht ganz „organische“ High-Tech-Retortenklänge zurückgreifen muss, so ist das ein kleiner Preis für die Möglichkeit, sich mit so viel Leichtigkeit zu bewegen. Eigentlich aber befassen sich alle vier dieser Ausnahmemusiker mit Rhythmus und Melodie in der tanzenden, mit Freude improvisierten Kammermusik von „Fractured Dimensions“. Übersetzung: Caroline Lake |
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