FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 2010

FMP CD 137

Alexander von Schlippenbach/Rüdiger Carl

 

Globe Unity in Baden-Baden 1975

Vorgeschichte: Nach zwei Tagen und zwei langen Nächten in Reims und einem Konzert in der berühmten Kathedrale befindet sich eine fünfköpfige Fraktion bestehend aus Brötzmann, Buschi, Alex, Lovens und Rüdiger Carl in Kowalds altem Ford Transit auf der Fahrt nach Baden-Baden, wo am nächsten Tag beim SWF eine Rundfunkproduktion des Globe Unity Orchesters mit den Gastsolisten Anthony Braxton und Enrico Rava anberaumt ist.

Auf der Landstrasse in Richtung Metz, durch die Champagne vorbei an Mars-Le-Tour und Verdun (wo die Großväter standen) knackt das Auto nach ein paar unheilverkündenden Geräuschen ab („moteur maladè“ heißt es später in der Werkstatt) und man rollt in eine dunkle Talsenke.
Dann ist Schluss. –
Was nun?

Die Nacht ist hereingebrochen. Vollmond beleuchtet die abweisende Umgebung des Marsfeldes. Eisige Kälte. Irgendwo Lichter einsamer Bauernhöfe. Entferntes Hundegebell.

Wir beschließen, das Auto rechts ranzuschieben und einfach loszugehen, um etwas zu suchen, wo wir die Nacht verbringen können. Glücklicherweise findet sich bald ein einsamer, schwach beleuchteter Gasthof der zu unserer freudigen Überraschung offen hat. Also nichts wie rein!In der Gaststube sitzen drei alte Männer, die sich an einem meterlangen Ofenrohr wärmen. Der Winter war in diesem Jahr recht früh gekommen, mit –20°.

Nach ein paar Gläschen Rotwein und der Mitteilung unseres Malheurs wird hilfreich ein Abschleppwagen organisiert, der uns morgen früh zu einer Werkstatt ziehen kann und es findet sich sogar jemand, der uns in ein kleines, entlegenes Hotel fährt. In der Hoffnung, dass alles gut gehen wird, überlassen wir den vollbeladenen Transit der eisigen Nach am Marsfeld. Das sehr bescheidene Hotel liegt in Winterstarre. Draußen pfeift eisiger Wind, aber man kriegt die Küche notdürftig nochmal unter Dampf. Die beiden zunächst verschlafenen Kellner laufen allmählich für ihre obskuren Überraschungsgäste bemerkbar zu Form auf. Mit einigem Stolz wird der Champagnerkeller vorgestellt und stößt bei uns, auch befördert durch die abenteuerliche Situation, auf reges Interesse. Mit jeder neuen Entkorkung entspannt sich die Stimmung, die anfänglichen Sprachbarrieren sind bald geschleift. So kommt es zum ersten Mal für alle Beteiligten zum kompletten und unvermischten Champagner-Vollrausch, wobei sich die fürstliche Abendgage aus Reims beständig und weitgehend verflüssigt.

Am frühen Morgen danach kommt der Abschleppwagen. Die Nacht war kurz und nicht ohne Härte, nicht zuletzt wegen total zugefrorener Sanitäreinrichtungen. In noch rauschhaftem Zustand, durch die runtergekurbelte Seitenscheibe navigierend (Windschutzscheibe zentimeterdick vereist), geht’s die zehn km zur Werkstatt, was dann auch der allmählichen Ausnüchterung zugute kommt. Kurz nach Mittag kann’s dann weitergehen und mit einem Tag Verspätung kommen die reichlich mitgenommenen Insassen schließlich beim SWF in Baden-Baden an, wo die Kollegen sinnvollerweise schon etwas vorgeprobt hatten.

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