FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 2010

FMP CD 148

Clifford Allen

 

Zunächst einmal ist der Titel dieser CD, der ersten aufgenommenen Zusammenarbeit des deutschen Gitarristen Olaf Rupp (geb. 1963 in Saarlouis, Deutschland) und dem schon viele Jahre in Europa lebenden Cellisten Tristan Honsinger (geb. 1949 in Vermont, USA), durchaus treffend. Stretto bezeichnet die sich zuspitzende Engführung in einer Fuge, eine besonders dynamische Form des Kontrapunkts und etwas worauf Improvisationsduos oft gegründet sind. Diese besondere Kraft wird oft in einer Art Wettstreit ausgetragen, immer bemüht, dem Anderen eine Nasenlänge voraus zu sein, und viele der bemerkenswertesten Duos wirken häufig wie Sparringkämpfe zweier Meistermusiker in einer freundlichen Rauferei mit verkeiltem Geweih und Muskelspielen. In spielerischer Subversion entlocken sich die Spieler gegenseitig Phrasen und Ideen, eine wechselseitige Kommunikation, die, wenn sie nicht so interessant anzuhören wäre, allem entgegen stehen könnte, was wir unter einem „Dialog“ verstehen. Wenn auch nicht immer Anstifter solcher Faxen, sind Honsinger solche Umstände doch nicht fremd – eine seiner ersten Aufnahmen auf Incus (wiederveröffentlicht als Tristan/Duo), ein Duo von 1976 mit dem verstorbenen und für seine Reizbarkeit bekannten Gitarristen Derek Bailey, ist ebenso ironisch-grinsend wie intensiv. Mit Unterbrechungen war Honsinger seit den späten Siebzigern auch Mitglied des Instant Composers Pool Orchestra und ist inzwischen ein festerer Bestandteil der Gruppe. Neben der Violinistin Mary Oliver und dem Bassisten Ernst Glerum ergänzt er die Streichersektion des Ensembles mit einer gewissen klassischen Manier und erinnert gleichzeitig an den diabolischen und manchmal wilden Expressionismus des ehemaligen ICP Bassisten Alan Silva (Tetterettet, ICP, 1977).

Rupp traf Honsinger um 1999 beim Uncool Festival in Poschiavo in der Schweiz, einige Jahre später begannen sie in Berlin zusammenzuspielen. Zumindest auf dem Papier sind sie eine eher überraschende Verbindung. Rupp ist bekannt für seine gespenstische Verwendung von Clustern in einer reinen Soundumgebung; er arbeitet als Solist und in letzter Zeit mit Musikern wie dem Bassisten Marino Pliakas und dem Schlagzeuger Michael Wertmüller. Während Rupp letztens auch häufiger elektrische Gitarre spielt, ist er hier auf einer sechsseitigen Akustikgitarre zu hören, die er, wie für ihn typisch, wie ein Flamenco- oder Pipaspieler auf den Beinen aufstützt. Die oft theatralisch wirkenden Wirbel verwirrender klassischer Referenzen, die Honsinger erzeugt (Grunzende und kreischende Begleitgeräusche), scheinen Rupps dichtem und manchmal kopflastigem Ansatz diametral entgegen zu stehen. Im Grunde aber agieren sie in an einem noch eindeutigerem Kontrapunkt, der an die elementarsten Grundsätze von Improvisation geht – dem Umgang mit Klang und Aktion. In den gelungensten Beispielen improvisierter Musik stehen sich diese beiden Konzepte gegenüber oder werden in einem semantischen Tanz verbunden, in dem jeder Merkmale des anderen übernimmt.

Die Gründe für eine so direkte Auseinandersetzung mit der kontrapunktischen Dichotomie von Klang und Aktion sind ganz einmalig und speziell, und treten typischerweise nur bei Improvisatoren wie diesen beiden auf. Die Cluster, die Rupp aufbaut, behalten eine besondere Reinheit, jeder Ton ist kristallklar und die einzelnen Übergänge sind so klar erkennbar wie im Bild eines aufspritzenden Wassertropfens, eingefangen mit einem extrem kurzen Kameraverschluss. Im Falle von Stretto und seiner achtteiligen Suite “Can You Imagine a Conversation between a Table and a Chair?” baut Rupp diese Wirbel flimmernder Klarheit aus der Gestik und mit fast klassischer Ausdrucksweise auf, ganz sicher in genau definierter Aktion. Im dritten Teil, “Imagine”, verzahnen sich geschlagene Sprenkel mit einem klopfenden Collegno, und wenn sich Honsingers Arcostriche in Dreifachgriffen entwickeln, tuckernd wie ein alter Güterzug, bricht Rupp seine eigene Gestik in wechselhafte, aber ineinander verzahnte Fragmente auf, getupft, zusammengemischt, über eine dreiminütige Landschaft fegend.

Der Eröffnungstitel “Can”, ist eine viel zartere Erforschung von Ton und Aktion, hier hört man Rupps Arpeggios verlangsamt bis zu einem Moderato oder sogar einem kriechenden Adagio, um dann auseinandergenommen und neu zusammengesetzt zu werden. Honsingers düstere Empfindungen werden bald umgekehrt in einen weiteren Bogen, aber mit einem krassen, körnigen Ton, der and die raue und schroffe Strenge eines Janos Starker erinnert. Auch hier, wenn auch vielleicht in etwas abgewandelter Iteration, liegt der Fokus auf dem Klang – als natürlichem Element des Instruments und im Wesentlichen unverfälscht durch abweichende Stimmung, Präparation, erweiterte Techniken (d.h. Ponticello) oder Verstärkung. Das Holz, Metall, Pferdehaar, das in Honsingers Spiel Verwendung findet, und die Wandelbarkeit seiner Haltung in eine wehklagende Manie ist voll kommen aus der Aktion abgeleitet, gleichzeitig manifestiert in einem der markantesten Cellotönen innerhalb der zeitgenössischen Musik. Rupps Rolle ist oft unterstützend, das Arcospiel des Cellisten unterlegend und ausgestaltend mit rasenden Clustern oder schneidenden, sanft angebrachten Ak korden. So wie sein Verschwörungspartner ist Rupp niemand, der sich allzu sehr damit beschäftigt, wie wenig sein Instrument wie eine Gitarre klingen kann, stattdessen wählt er Harmonik oder Erweiterungen, die voll kommen im Rahmen der charakteristischen Möglichkeiten der Gitarre bleiben. Die elegischen Linien in Richtung klassischer Tradition oder sogar Robbie Bashos späterer Arbeiten sind eine subtile Kehrtwende gegenüber Honsingers knirschender, intuitiv visceraler Pyrotechnik.

In seinem Buch The Freedom Principle: Jazz after 1958 (Da Capo, 1984) [Das Prinzip Freiheit: Jazz nach 1958], zeigt sich der Autor John Litweiler zutiefst fasziniert von Honsingers Musik und ästhetischen Impulsen. Er beschreibt eine Gelegenheit bei der Honsinger “Cello spielt, während er mit den Füßen auf den Boden stampft, stöhnend und ächzend wie eine Parodie von Keith Jarrett.” Es ist schwierig, sich im Zusammenhang mit Stretto versponnene Impulse oder ausgelassene Späße vorzustellen, ob auf den wildesten Ebenen beseelter Interaktion oder bei den zartesten Erkundungen wie den Open-air Aufnahmen von “Between” oder “A Conversation.” Vokalisierung ist Klang komponente des Cellisten in gleichem Maße wie Gesänge und Wehklagen die Arbeit von Alan Silva oder des Schlagzeuger Sunny Murray akzentuieren. Parodie – ob durch Subversion, Gegenwirkung oder Unterminierung – ist der angespannten Athletik und dem Anhäufen/Abscheiden von Klängen, die diese acht Duoimprovisationen ausmachen, eher fremd. Das Zusammenspiel von Rupp und Honsinger ist voller Überraschung, Zufall, Wärme und Schwung. An vielen Stellen scheint es kaum möglich, sich eine Verbindung vorzustellen, jenseits der „Breath-and-Drum“-Dampfwalzen, mit einem vergleichbaren Maß an Rhythmus und Kinetik. Ganz sicher erfüllt diese Intensität den abwechselnd engen und weiten Raum zwischen Klang und Aktion.

Übersetzung: Isabel Seeberg & Paul Lytton

zurück / back