Andreas Felber- Staffelübergabe in Berlin
Christoph Wagner - FMP setzt einen furiosen Schlussakkord
Karl Bruckmaier- Das dreckige Dutzend - Neugier
Klaus Hübner - Totale Musik, triebgesteuert
Marcus Maida - Abschiedsblicke
Andreas Hartmann - FMP im Rückblick
Andreas Hartmann - Halbe Hunde und dicke Karpfen
Reiner H. Nitschke - Bruch mit Traditionen
Hans-Jürgen Linke - Geschichte im handfesten Karton
Diedrich Diederichsen - Ein Universum im Entstehen
Andreas Fellinger - FMP/Free Music Production
Roland Spiegel - Der Himmel der Ungezähmten
Reiner Kobe - FMP im Rückblick / In Retrospect
Günther Huesmann - Free-Jazz-Geschichte
Karl Lippegaus - Ungeglättet, unbequem
Ulrich Olshausen - Zarte Seelen im Kugelhagel
Thomas Rothschild - Die Heimat des Free Jazz
Adam Olschewski - Klänge von hier, von jetzt, von immer
Rigobert Dittmann - Versuch der Rekonstruktion einer vergangenen Zeit


Andreas Felber
Staffelübergabe in Berlin
Free Music Production stellt nach über 40 Jahren seine verdienstvolle Tätigkeit ein.
Nicht ohne ein finales Statement in Gestalt einer voluminösen 12-CD-Box zu setzen.


Europe Invades!“ - So stand im Mai 2006 am Cover des Chicagoer Downbeat zu lesen. Und zum ersten Mal (!) in der bis dato 72-jährigen Geschichte des traditionsreichen Jazzmagazins zierten Musiker aus der Alten Welt das Cover: jene des schwedischen Esbjörn Svensson Trios, das damals die Szene aufmischte, bis es 2008 durch den tragischen Unfalltod des Leaders zerbrach. Während die Titel-Story die schwelende Diskussion über „europäischen Jazz“ und „amerikanischen Jazz“ anheizte, wurde auch vereinzelt darauf hingewiesen, dass der Emanzipationsprozess der improvisierten Musik diesseits des Atlantiks bereits in den 1960er-Jahren begonnen hatte. Zu Recht: Denn damals waren europäische Musiker erstmals davon abgegangen, ihre Vorbilder stilgetreu zu kopieren, möglichst „wie Charlie Parker“ oder „wie John Coltrane“ zu klingen. Im Free Jazz jener Jahre, im plötzlich unendlich großen Raum musikalischer Möglichkeiten, wurde die Frage nach persönlichen Ankerpunkten, nach der Reflexion des „Eigenen“ virulent - und vielfach im Anknüpfen an diverse europäische Musiktraditionen gefunden.
Mit der inneren „Unabhängigkeitserklärung“ ging oft auch eine äußere einher, die die Schaffung musikereigener Strukturen für die Produktion und Distribution der Schallplatten betraf. 1969 gründeten Saxofonist Peter Brötzmann, Pianist Alexander von Schlippenbach und die beiden Bassisten Peter Kowald und Jost Gebers (Letzterer sollte die Geschicke bald allein lenken) in Westberlin die Free Music Production, kurz: FMP. European Echoes lautete der programmatische Titel der ersten Platte, aufgenommen vom Orchester des Trompeters Manfred Schoof. Brötzmann, als berüchtigter Brachialist Inbegriff der deutschen Free-Jazz-Ästhetik, dominierte die ersten Veröffentlichungen; in den folgenden Jahren öffnete sich die FMP, die u. a. im „Total Music Meeting“ auch als Veranstalter wichtige Akzente setzte, bald für die internationale Improvisationsavantgarde: So stand die klug strukturierte, elektrisierende Dichte von Schlippenbachs Globe Unity Orchestra (Baden-Baden ’75) den fragilen, durch existenzielle Anmut und Tiefe bestechenden Soloaufnahmen von Sopransaxofonist Steve Lacy gegenüber. Da waren die surreal angehauchten Klang- und Geräuschstrukturen von Gitarrist Stephan Wittwer und Posaunist Radu Malfatti, übrigens dem einzigen Österreicher, der jemals unter eigenem Namen bei FMP veröffentlichte (Und?...plus, 1977). Und da waren die dissonanten Polyphonien des Manfred-Schulze-Bläserquintetts (Choral-Konzert,1998). All diese Musiken finden sich in der voluminösen 12-CD-Box FMP imRückblick, die nun als finales Statement vorliegt. Nach über 40 Jahren verfügte Jost Gebers die Einstellung des legendären Labels, dessen Funktion erfreulicherweise längst von einer neuen MusikerInnen-Generation und neuen Netzwerken wahrgenommen wird. Neben dem CD-Paket, das auch Musik von Fred Van Hove, Irène Schweizer und natürlich von Peter Brötzmann inkludiert, ist der Box eine 220-seitige, reich bebilderte Broschüre beigelegt, in deren Rahmen die Geschichte von FMP ausführlich resümiert wird. Natürlich ist es ein Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Allerdings: Die historische Mission der FMP ist erfüllt. Die Erinnerung an diese Institution der europäischen Improvisationsavantgarde wird bleiben.
aus: Bühne, März 2012 (Wien)


Christoph Wagner
FMP setzt einen furiosen Schlussakkord
Mehr als 40 Jahre lang dokumentierte das Label den kreativen Jazz in Deutschland

Es war eines der ersten unabhängigen Schallplatten-Labels und wurde anfangs als Kooperative von den Musikern selber geführt: die Free Music Production (FMP) präsentierte mehr als 40 Jahre lang den kreativen Jazz der bundesdeutschen Szene. Jetzt tritt die Firma mit einem mächtigen Schlussakkord von der Bühne. Eine Box mit 12 CDs und einem dicken Dokumentarband (Titel: FMP - Im Rückblick/In Retrospect) setzt einen Endpunkt hinter ein bedeutendes Kapitel deutscher Jazzgeschichte.
Manchmal fliegt eine Bierdose Richtung Bühne
Die Turbulenzen kamen von der anderen Seite des Atlantiks und erfassten Mitte der 60er-Jahre auch die bundesdeutsche Jazzszene. Eine kleine Gruppe von knapp 30 Musikern probte den Aufstand. „befreit den Jazz von allen Konventionen!“ lautete der Schlachtruf. Die jungen Radikalen spielten eine revolutionäre Musik, die für Wirbel sorgte. Eine eigenständige europäische Jazzmusik jenseits der amerikanischen Vorbilder wurde angepeilt. Man wollte nicht länger „Second-Hand-Jazz“ spielen, wie es der Trompeter Manfred Schoof ausdrückte. Die Musik schlug ein, löste ein kleines Erdbeben aus.
Peter Brötzmann (Jahrgang 1941) war der Extremste. Der Wuppertaler Saxofonist schleuderte Töne mit ungeheurer Wucht heraus. Sein Spiel glich einem einzigen langen markerschütternden Schrei. In der Presse war vom „Klangsgemetzel der Brötzmänner“ die Rede.
Der Schock war groß. Freejazz wurde mit Tumult und Aufruhr gleichgesetzt. Manche hielten es für den Untergang des Abendlands. In hitzigen Debatten entlud sich der Unmut. „Nach einem Stück, in der Pause oder nach dem Konzert gab es oft heftigste Diskussionen, die äußerst kontrovers verliefen“, erinnert sich Rudi Theilmann vom Modern Jazz Quintett Karlsruhe. „Die Musik wurde von vielen als schwierig empfunden, hat manche Zuhörer regelrecht entsetzt.“
Das machte es für die jungen Jazzer schwer, vom Musikmachen allein über die Runden zu kommen, denn Auftrittsplätze waren rar und das Publikum klein. Mit Nebenjobs verdiene man ein Zubrot - prekäre Zeiten!
Wenn die Freejazz-Gruppen an Orten auftragen, die nicht unbedingt von Fans frequentiert wurden, wie in Studentenkneipen, konnte es zu brenzligen Situationen kommen. Manchmal machte sich der Unmut ganz praktisch Luft. Da flog dann schon mal eine Bierdose Richtung Bühne oder es kam zu Rempeleien bis Handgreiflichkeiten.
Da das Interesse bei der Schallplatten-Industrie gering war, nahmen die Musiker die Plattenproduktion selbst in die Hand: 1969 gründeten sie die Free Music Production (FMP). „Bis dahin haben wir passiv gewartet, ob uns irgendeine Firma ein Angebot macht.“ erinnert sich Pianist Alexander von Schlippenbach. „Da konnte man unter Umständen lange warten. Wir haben dann einen Vertrieb organisiert. Selbst in Japan gab es Abnehmer. Anfangs haben wir Musiker alles selber gemacht, dann versucht, es besser zu organisieren, indem wir Jost Gebers 1976 als Geschäftsführer einsetzten.“
Die internationale Avantgarde gibt sich ein Stelldichein
Gebers dokumentierte auf dem FMP-Label nicht nur die bundesdeutsche Freejazz-Szene, sondern nahm bald auch Kontakt zu Gleichgesinnten in die DDR auf, woraus sich ein kleiner innerdeutscher musikalischer Grenzverkehr ergab. Nun erschienen bei der Free Music Production auch Platten der Ostdeutschen Ernst-Ludwig Petrowsky, Ulrich Gumpert und Günter Sommer. Dazu kamen Kooperationen mit Improvisatoren aus Holland, England und der Schweiz, später auch Einspielungen mit Jazzmusikern aus den USA, wie dem Pianisten Cecil Taylor. Auf FMP gab sich die internationale Avantgarde ein Stelldichein.
So sind im Laufe der mehr als 40-jährigen Geschichte des Labels rund 150 Langspielplatten und noch einmal genauso viele CDs entstanden. Die besten davon hat Gebers jetzt, bevor er in Ruhestand geht, noch einmal in einer CD-Box zusammengefasst. Das beiliegende Buch, schön bebildert, rekapituliert dazu diesen bedeutenden Abschnitt bundesdeutscher Jazzhistorie.
aus: Schwarzwälder Bote, 20. Dezember 2011


Karl Bruckmaier
(…) Zumindest in Form von Tonträgern vereint sind die beiden Jubilare Schweizer und Brötzmann in der zwölf CDs und ein dickes Buch umfassenden Box des eigentlich nicht mehr existenten FMP-Labels „Im Rückblick 1969-2010“ (FMP-Publishing), in der nicht kompiliert, sondern durch Label-Gründer Jost Gebers wild kombiniert wird: Platten von unterschiedlichsten Musikern und Qualitäten, sperrig und nach Hör-Arbeit verlangend wie eh. (…)
aus: Süddeutsche Zeitung # 5, 7./8. Januar 2012


Klaus Hübner
Totale Musik, triebgesteuert
Das Label «Free!Music!Production!» steht für 40 Jahre Jazz und Improvisation in Deutschland
„Free: Das Postulat der Freiheit, der musikalischen Freiheit insbesondere,
zugleich der Aufruf zur Befreiung, aber auch jene seufzende Erkenntnis
des endlich Frei-Seins. (Wolfram Knauer)
Arthur Schopenhauer sprach den triebgesteuerten Menschen den freien Willen ab und verwarf die Idee vom vernunftgeleiteten Individuum. Musikalisch vom Trieb gesteuert sein, heißt hemmungs- und rücksichtslos seine Ziele zu verfolgen und nicht (mehr) auf das zu hören, was im Umfeld des Jazz den Konsens der Interessierten ausmachte, vielmehr die gemeinsame Linie zu verlassen und neben, über und unter dieser Richtschnur auf eigene Füßen der Kreativität und Musikalität freien Lauf zu lassen.
„Frei.“ Ein sehr kurzes Wort, das einem langen Traum den Eintritt in die Wirklichkeit verhalf. Frei sein hieß in den 1960er und 1970er Jahren, aus der Umklammerung des Bürgertums auszubrechen und eigene Formen des politischen Anspruchs, der individuellen Entfaltung und des kreativen künstlerischen Ausdrucks zu finden. „Frei“ innerhalb der (Jazz-)Musik gipfelte in der Vorstellung, Grenzen niederzureißen, Konventionen zur Seite zu legen und in der Spontaneität des Augenblicks auf neuen Ebenen miteinander zu kommunizieren. Nachdem in den USA dieser Prozess durch Formationen wie das Ornette Coleman Quartet und die Radikalen um Cecil Taylor in Gang gesetzt worden war, erreichte er mit zeitlicher Verzögerung auch europäischen Boden. Aus historischer Sicht ist bemerkenswert, dass in den USA am Beginn der 1970er Jahre der aufkeimende Rockjazz den Free Jazz langsam zurückdrängte, jedoch gleichzeitig in Europa die Popularität des „befreiten“ Jazz zunahm und die europäischen Musiker sich von den amerikanischen Vorbildern lösten. Je mehr sich der Jazz „frei spielte“, desto weiter schritt die europäische Emanzipation fort. Das Globe Unity Orchestra, Albert Mangelsdorff, Alexander von Schlippenbach sind Namen, die das befreite Rauschen und die vom Trieb gesteuerte neue musikalische Freiheit in Deutschland salonfähig machten.
Neben den Aktivitäten in Berlin (das „Total Music Meeting“ fand erstmals 1968 im Club „Quasimodo“ statt) behauptete sich Wuppertal als heimliche Hauptstadt der deutschen Free Music-Szene. Peter Brötzmann und Peter Kowald, die dort lebenden treibenden Kräfte, hatten bereits 1966 gemeinsam mit Manfred Schoof und Alexander von Schlippenbach mit der Bildung der „New Artist Guild“ erste Aktivitäten auf dem Gebiet der Improvisation in Deutschland organisiert. Drei Jahre später gründete Jost Gebers auf Initiative von Peter Brötzmann das Label „Free Music Production“, das sich für Projekte deutscher wie europäischer Musiker als Plattform und Veröffentlichungsmotor etablierte.
Eine dreieinhalb Kilo schwere, mit zwölf CDs und einem 218-seitigen Buch im LP-Format ausgestattete Box (Auflage: 1000 Exemplare) zeichnet jetzt die über vierzigjährige Geschichte des FMP-Labels von1969 bis 2010 nach. In der Publikation FMP Im Rückblick - In Retrospect 1969-2010 kommen Autoren wie Wolfram Knauer, Ken Vandermark, Bert Noglik, Bill Shoemaker, Felix Klopotek, Wolf Kampmann und Bernd Mehlitz sowie Peter Brötzmann und Jost Gebers zu Wort. Brötzmann: „40 Jahre Musikgeschichte, war sogar maßgeblich beteiligt, auf ein paar Seiten aufzuarbeiten, ist meine Sache nicht - deshalb, Jost, von dieser Stelle Dank für diese weltweit einzigartige Arbeit“.
Ein Manifest der frei improvisierten Musik
In der Retrospektive wird auch deutlich, welchen Anteil der Produzent, Geschäftsführer, Organisator und Kontrabassist Jost Gebers am Erfolg des Labels hat, das auch in juristischer Hinsicht für Schlagzeilen sorgte, die den Gedanken der vom Trieb gesteuerten „Freiheit“ und des individuellen Kollektivismus entgegenwirkten.
Die erste Veröffentlichung des neuen Labels war eine Aufnahme des Manfred Schoof Orchestra namens European Echoes (FMP 0010). Das Wort „Echo“ im Titel der Vinylschallplatte deutete in eine programmatische Richtung, mit der dem bis dahin dominierenden amerikanischen Jazz ein Widerhall europäischer Prägung entgegengehalten wurde, ohne die Entwicklung und Bedeutung dieser Musik grundlegend in Frage zu stellen. Die Platte besaß die durchdringende Kraft eines Manifests, in dem die große Zahl der eingesetzten Musiker das voraus gedachte, aber nicht penibel ausformulierte Postulat für eine frei improvisierte Musik in musikalische Sprache umsetzten und den eigenen Anspruch mit größtmöglicher Energie und entfesselter Radikalität untermauerten. Neben dem Manfred Schoof Quintett bestand das Orchester aus dem Peter Brötzmann Trio und dem Irène Schweizer Trio, die in einem wilden, rauen, brüllenden, verstörenden Szenario eine ungelenkte, freie und nicht wiederholbare Momentaufnahme einer radikal-musikalischen Denkweise vorstellten.
Die zweite Veröffentlichung konservierte unter dem Titel Balls (FMP 0020) eine Aufnahme von 1970 mit Peter Brötzmann, Fred Van Hove und Han Bennink. FMP etablierte sich nicht nur als Heimathafen für improvisierende Musiker und Gruppen, sondern machte sich auch als gestaltende Kraft des Total Music Meeting und des Workshops Freie Musik (in Zusammenarbeit mit der Berliner Akademie der Künste) immer mehr unentbehrlich und bestimmte das Programm und die Ausrichtung beider Institutionen.
Austausch über die Mauer hinweg
1972 übernahm ein aus Peter Brötzmann, Alexander von Schlippenbach, Detlef Schönenberg, Peter Kowald und Jost Gebers bestehende Kollektiv die Amtsgeschäfte der Firma Free Music Production, das bis 1976 bestand, ehe Jost Gebers alleine für FMP verantwortlich wurde und das Konzept der Firma nachhaltig bestimmte.
Neben der ausgesprochenen Freiheit in musikalischer Hinsicht stand der Name Gebers auch für den damals noch unbekannten Begriff „Nachhaltigkeit“: „Immer wurde ein guter Sound angestrebt und fotografiert, aufgenommen und versucht, die Musik in anderer Weise zu dokumentieren, so dass die FMP mit ihrem Archiv eine Art lebender Geschichte dessen darstellt, was sich in den letzten 10 Jahren in der freien Musik getan hat“, schreibt Steve Lacy in For Example, Workshop Freie Musik 1969 - 1978. Es mag in den Ohren überzeugter Improvisatoren ein wenig ironisch klingen, dass das FMP-Label mit den Stichworten „Präsentation“ und „Dokumentation“ seine beiden Hauptanliegen formulierte.
Da das FMP-Label in Berlin ansässig war, streckte Jost Gebers bereits frühzeitig seine Fühler in die DDR aus und schickte seine Musiker in die andere, vom Westen abgeschottete ostdeutsche Enklave der improvisierten Musik. Der entgegengesetzte Transfer funktionierte ebenfalls. DDR-Musiker konnten dank des Engagements von FMP ihre Aufnahmen - teilweise mit Unterstützung der staatseigenen „Amiga“ Schallplattenfirma - im Westen veröffentlichen. Namen wie Günter „Baby“ Sommer, Ernst-Ludwig Petrowsky, Ulrich Gumpert oder Johannes Bauer wurden allmählich auch im Westen Deutschlands bekannt, was nicht nur im Zusammenhang mit dem ersten, von FMP maßgeblich gestalteten Festival Jazz Now - Jazz aus der DDR 1979 in der Akademie der Künste stand.
Vielfalt und Qualität
Ein kurzer Blick auf die Namensliste der FMP Veröffentlichungen mag genügen, die Vielfalt und die Qualität der engagierten Musiker, Bands und Orchester zu beschreiben. Abgesehen von den bereits erwähnten Musikern seien hier insbesondere Hans Reichel, das Georg Gräwe Quintet, das Malfatti/Wittwer Duo, Gerd Dudek, das Conrad Bauer Trio, Vinko Globokar und Rüdiger Carl genannt. Neben den kontinuierlich herausgebrachten Langspielplatten und Singles (1989 startete das CD-Label FMP/Free Music Production) dokumentiert die Label-Geschichte diverse Aktivitäten außerhalb der Aufnahmestudios - von unterschiedlich ausgerichteten Workshops bis zu einer Zusammenarbeit mit Cecil Taylor, von Festivalbeteiligungen bis zur Unterstützung der DAAD-Stipendiaten.
Als die wirtschaftlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen auch für die Firma Free Music Production schwieriger wurden, schraubte Jost Gebers die Aktivitäten und das Angebot zurück. Zum Beispiel wurde 1993 das eigene Tonstudio aufgegeben und 1998 der Workshop Freie Musik mangels Budgets eingestellt. Schwerwiegender jedoch waren juristische Auseinandersetzungen, die Ende der 1990 Jahre ihren Anfang nahmen und Gebers sogar von Berlin nach Borken in Westfalen „auswandern“ ließen, wo der FMP-eigene Musikverlag - FMP-Publishing seinen Sitz hatte. Wolf Kampmann entflechtet in seinem Beitrag „Touchdown - Protokoll einer Labeltragödie“, wie plötzlich zwei FMP-Firmen zu existieren schienen, wie 1999 das Ende von Gebers’ FMP-Geschäftstätigkeit bekannt gegeben wurde und welche juristischen Auseinandersetzungen mit der als kooperierende Geschäftspartnerin und Lizenznehmerin auserkorenen Helma Schleif entstanden.
Ungeachtet dieser bedauernswerten Entwicklung darf gleichwohl festgestellt werden, dass das Label Free Music Production nicht nur den Begriff des musikalischen „Frei“ in Deutschland und Europa maßgeblich begleitet und unterstützt, sondern auch durch seine Veröffentlichungspolitik dazu beigetragen hat, dass bedeutende, einmalige, schräge und stilbildende Schallplattenaufnahmen und Konzerte den Weg in die Ohren der Hörer und in die Archive des allgemeinen Kulturbetriebs gefunden haben.
aus: Neue Zeitschrift für Musik # 4, Juli/August 2011


Marcus Maida
Abschiedsblicke
Nach 41 Jahren legt FMP, das neben Intakt aktuell
immer noch bedeutendste europäische Label
für freien und neuen Jazz’n’Improv,
die Abschiedsedition vor.

Ein guter Abgang ziert die Übung, so Friedrich Schiller. Und warum auch nicht, wenn die Zeit endlich passt. Die Free Music Production, 1969 in Berlin gegründet, ist größtmögliche Aura bei größtmöglicher Auravermeidung. Dieser Widerspruch muss nach wie vor kreativ und hellwach bearbeitet werden. Wenn FMP, das stets mehr war als ein Label, nun eine finale Werkschau mit allen Label-bezeichnenden Teilen editiert, vom großen 1x1 der Kollektivimprovisation über vitalste Kammerimprov bis zu stupenden Solo- und Duoaufnahmen, sollte man bitte nicht „Die Bibel des Free Jazz“ oder ähnlichen Unsinn sagen. Wenn schon Metaphern, dann lässt sich diese Rückschau, die gleichsam ein Statement ist, in Form einer 12-CD-Box (sechs Alben bislang unveröffentlicht, alle Teile auch einzeln erhältlich) nebst jeweils neuen Liner Notes und 218-seitigem Buch im LP-Format vielmehr als ein in nüchternem Packpapierdesign herübergereichter Abschieds-Ziegel- bzw. markanter Grundstein für neue Fundamente bezeichnen. Man kann diesen Brocken auch einen Granitmarker für weitere Wege nennen, über die es in die Jazz-Zukunft geht. Derartige Elementarvergleiche sind angemessen, sollten aber bitteschön keine Mythen nähren, die sich allzu schnell um Realität und Fakten der freien Jazzgeschichte, die gespickt von Fälschungen und Missverständnissen ist, ranken. Denn wie war das doch gleich noch mal mit dem Free Jazz?
„Ja, Free Jazz! Free Jazz ist ganz einfach. Da kommt es ja nur darauf an, ob es gut aussieht. Albert Mangelsdorff hat gesagt: Da kann niemand sagen, ob etwas gut oder schlecht, falsch oder richtig gespielt ist. Wer hört sich denn Free Jazz zu Hause an? Nicht einmal die Free-Jazz-.Musiker! Die hören lieber Hard Rock.“ So Wolfgang Dauner in Jazzthetik.
Januar/Februar 2011. Dreist! Und wissen Sie was? Gar nicht mal so falsch, bedeutende ProtagonistInnen der Improv-Szene bestätigen das. Free Jazz heute, so ein launiger Sager, ist toll, aber halt wie Fußball - das spielt man selber, aber sieht es sich nicht zu Hause an. Und auf der Bühne? Diverse selbstvergessene Retro-Improv-Etüden zum Ermüden und formidable Formspielereien ohne Seele und Inspiration haben das Genre und seine Transformationen in der Jetztzeit etwas rufgeschädigt. Einst musste sich der Jazz vor dem Free Jazz verteidigen, heute scheint dies mitunter umgekehrt zu sein. Und was gibt es heute auch noch zu befreien in einem Jazz, der oft durch virtuose Belang- und eloquent Ideenlosigkeit via Hi-Class-Brand von sich Reden macht und ein völlig anderes Genre zur improvisierten Musik zu sein scheint? Wenn indes frei improvisierende Live-Musik den Kern zwischen Geschichte und Zukunft im Hier und Jetzt dialektisch spalten kann, kann dies nach wie vor eine absolute musikalische Sternstunde sein. Das ist die Situation, auf die dieses unfassbar hochqualitative gehaltvoll-geballte Paket Free-Jazz-Geschichte trifft.
Wozu diese satte Konservierung in Archivstärke? Für musikwissenschaftliche Analysen? Geschenkt, geht klar - aber ist wohl nicht die Hauptsache. Zur Neu-Heranführung ans musikalische Material für den Nachwuchs, den es doch angeblich so selten im reinen Improv-Genre gibt? Schon heißer. Denn natürlich gibt es Nachwüchse im freien und improvisierenden Jazz - und wie! Und die spielen genau DAS - aber komplett anders und transformiert. Oder letztlich für das Verständnis und das Wissen um die Geschichte des Prinzips Freiheit und den Versuch einer veritablen und repräsentativen Abbildung einer der eigenwilligsten, energie-geladensten, stärksten und reichhaltigsten Musiken des ausgehenden letzten Jahrhunderts, die weit in die Gegenwart hineinreicht? Es ist genau das.
Aber was ist denn DAS? Was können freigeistige Jazz-Youngster hier lernen? Zum Beispiel: Selbstermächtigung. Haltung. Statt Karriere. Die dann natürlich (vielleicht gerade deswegen) doch eine Art Karriere wird. Kontinuität. Halsstarrigkeit. Idealismus. Individualismus im Kollektiv. Trotz. Unsicherheiten aushalten können. Hochpotenzierte Risiken ästhetischer und personeller Art. Verabschiedungen ohne Reue. Neudefinitionen. Wissen. Nicht ewig versuchen, sondern im Hier und Jetzt finden. Energielevel. Der Rausch von unbewusster Freiheit und bewusster Traditionssprengung. Unpathos. Die Nüchternheit des Designs. Euphorischen Pragmatismus. Die Lakonie der Produktion und des Abschieds: und tschüss.
Klar, deutlich, unsentimental. Trotzdem, natürlich: Herzlichkeit. Verbindlichkeit. Handschlagqualitäten. Verzweiflung. Sturheit. Beharrlichkeit. Musiker ohne jede Aura. Alltags-Legenden. Die Gründergeneration: bärtige Typen, umgeben von Rauch, Büchern und Wein, die sich und ihre Instrumente in desolate Mittelklassewagen quetschten und bei Minusgraden durch Europa tourten. Gibt es so heute nicht mehr, wissen wir. Außer bei denen selbst (Schlippenbach &Co touren z.B. immer noch so).
Zu FMP ist schon (fast) alles gesagt worden, alle Reviews und Nachrufe zu Lebzeiten sind schon erschienen, alle Geschichten sind erzählt. Wer sie noch nicht kennt, kann sie nun in dieser Abschlussedition in bester Manier nachlesen. Sagenhafte Artikel, fein fundiert, gelehrt und detailliert, die der Labelhistorie in ihren verschiedensten Phasen und Verbindungen nachspüren und dabei der Mythenmähne beharrlich die Läuse auskämmen. Zum Beispiel: dass FMP ein Musikerlabel war. Ja und nein. Denn natürlich war Brötzmann wesentlicher Impulsgeber und Musiker des Anschubkollektivs, aber FMP war gleichsam von Anfang bis Ende: Jost Gebers. Es braucht in allen Kollektivprozessen einfach diesen klaren Vermittler-Kopf mit dem Überverständnis für alle Szene-Prozesse sowie dem editorischen Instinkt, der besser kein Musiker, aber maximal (autodidaktischer) Techniker und Produzent ist. Bodenständig normalvisionär, mitunter knietief im Dispo watend, mit unbestechlichem Panoramablick auch mal Freundschaftsalben ablehnend, keine Angst vor falschen Entscheidungen, geistesgegenwärtig-genialisch mit der Dialektik von Gelassenheit und Grantlertum jonglierend. Und doch, klar: FMP war keine Soloshow, sondern ein kollektiver Prozess, der oft genug durch und für die MusikerInnen, die stetig Empfehlungen, Querverweise und Referenzen einbrachten, erst so richtig auflebte, abhob und neue Fährten legte.
Noch ein Mythos: die wahnsinnig wichtigen FMP-Alben. Natürlich zeigen diese nicht zuletzt die Eigenständigkeiten der jeweiligen MusikerInnen in nuce. Und vor allem durch die gewiefte Edition - dass sie nämlich eben keine platten 1:1 Dokus waren und sind, sondern in strenger Auswahl und Re-Kombination des Materials den Fokus und Nukleus auf die wesentlichen Bewegungen und Variationen im Free Jazz ermöglichten - wirken sie so kompakt und dicht. Aber sie machten eben nicht das aus, was FMP letztlich wirklich war: ein Netzwerk zwischen Aktion und Vermittlung, dessen Alben nunmehr Boten- und Lockstoffe waren.
„Streng genommen sind die (Anti-)Festivals und Konzertreihen der FMP wichtiger gewesen als die LP-Produktionen“, so Felix Klopotek sehr richtig in seinem Artikel.
Noch ein Mythos gefällig? Beharrlichkeit? Aber sicher! Doch wie oft stand das Label finanziell kurz vor dem Aus, und Gebers hätte - ohne massive Interventionen Brötzmanns - hingeschmissen. Doch Standhaftigkeit schafft nun mal Mythos. Hier gleich noch einer: Strategielabel FMP. Das Label hatte trotz diverser editorialer Strukturspielchen und Seitenstränge niemals einen Masterplan, dafür aber stets waches Bewusstsein und Chuzpe für den nächsten Schritt. Mit der notwendigen Konsequenz erscheint natürlich retrospektiv das meiste, wenn nicht gar alles, logisch vorhergeplant, wo vor allem sture Beharrlichkeit und eine umfassende biographische Sondierung für den Weitergang des Labels verantwortlich waren. So war FMP nie auf Verkäufe angewiesen: Gebers und seine damalige Frau Dagmar haben nie vom Label gelebt, sondern stetig zugeschossen und ihre Privatzeit komplett eingebracht. Die besser verkaufenden Scheiben querfinanzierten, wie überall, aber hier noch extensiver als sonst, die Ladenhüter. Für das Total Music Meeting schließlich, 1968 als Gegenveranstaltung zu den Berliner Jazztagen initiiert und stets klassisch als kollektiver „process in progress“ und nicht als Names-&-Hype Festival verstanden, konnte Senatsförderung erwartet werden, bis private Zuwendungen den Fortgang ermöglichten.
Bedeutend auch die Internationalisierung: Irène Schweizer kam früh aus der Enge der Schweiz, setzte sich bei den Freigeist-Machos der Gründergeneration durch und wurde zum weiblichen Improv-Role-Model, Derek Bailey war häufiger Gast, Steve Lacy klinkte sich ein, und schließlich wurde um Cecil Taylors Berlin-Stipendium 1988 eine ganze Edition gewoben - um nur einige Beispiele zu nennen. Dann der vorläufige Schluss, der Zwist: Die verlorenen Jahre um die Auseinandersetuzung mit Helma Schleif ab 1999/2000, Rufschädigung, Wirrwarr - all das kann, aber muss man nicht wissen, sollte man aber zumindest dann kennen, wenn einen der aktuelle Zustand der Produktion und Distribution von improvisierter Musik interessiert.
Wenn man aufhören sollte, wenn es am schönsten ist, hätte FMP schon längst schlussmachen können oder gar sollen, wie manche meinen. Aber grandiose jüngere Exkursionen (z.B. Olaf Rupp’s Whiteout) zeigten dann doch, wie viel Saft immer noch in dieser Zitrone steckte. Nach diversen mehr oder minder misslungenen Ausstiegsversuchen kann Gebers nun endlich 2010 entspannt gehen und einen persönlichen Schlussstrich ziehen, und wir sollten tatsächlich dankbar sein, dass FMP mit einem derart substanziellen Paket Abschied nehmen und nachhaltig wirken kann.
Was lässt sich für die Jüngeren aus und von dem ästhetisch-sozialen Gesamtkunstwerk FMP lernen? Vielleicht außer der oben genannten Eigenschafts-Liste als Wichtigstes dieses: wie sich über vier Jahrzehnte ein Leben für und in der Musik überleben lässt. Wer macht denn so etwas noch heute? Typen, die ganz ruhig und stur und doch bewegt bis zum Umfallen für die Musik arbeiten, die sie als die beste aller möglichen erkannt haben? Und woraus besteht Free Jazz’n’Improv in der Haltung heute? Die Borderline zu Neuer und Komponierter Musik ist schon lange überschritten wie auch klar markiert. Aber wo ist die Kreuzung und Rückbesinnung zu einer Musik der Revolte? Free Jazz war auch der Punk des Jazz, so ein früher Konsens. Auch heute gibt es wieder (zu)gut ausgebildete Strukturyoungster mit Instrumentenfetisch, die um die Subventionstöpfe schleichen und jede Menge faden Auftragsjazz produzieren - aber wo bleibt das Aufbegehren, die Revolte, der Widerstand und auch: die Eigenwilligkeit - und der Humor? Wie erneuert und rejuveniert sich die freie Musik? Die Tugenden, Abgründe und Höhenflüge des freien Jazzspiels lassen sich heute nicht pauschal lehren und lernen, aber dieser schwerst beeindruckende Ziegelstein-Granitmarker-Brocken ersetzt letztlich so manche Jazzschule.
aus: Jazzthetik # 241, Juli/August 2011


Andreas Hartmann
>FMP im Rückblick<, so heißt eine dicke 12-CD-Box mit opulentem Begleitbuch, die von der FMP, Europas wichtigstem Label für Free Jazz und freie Improvisation, gerade herausgegeben wurde. 40 Jahre lang gab es die FMP, die in Berlin zu Hause war und massenweise wichtige Platten von Peter Brötzmann bis Alexander von Schlippenbach veröffentlicht hat. Jetzt ist Schluss. Deswegen erscheint diese finale Box. Und damit findet leider auch ein enorm wichtiges Kapitel der Berliner Jazzgeschichte seinen Abschluss.
aus: Jungle World # 26, 30. Juni 2011


Andreas Hartmann
Halbe Hunde und dicke Karpfen
Berlin ist eine Metropole der improvisierten Musik.
Trotzdem leidet die Free-Jazz-Szene unter chronischer Geldnot.
Ein Überblick

Es liest sich wie ein Epitaph: „FMP im Rückblick“. Mehr steht nicht auf dem grauen Cover der opulent aufgemachten Zwölf-CD-Box und dem Einband des dazugehörigen Buches, das auf über 200 Seiten eine einzigartige Geschichte erzählt. Die Geschichte der Freien Musik Produktion, der Free Music Production, kurz der FMP, dem jahrzehntelang bedeutendsten Label in Europa für Free Jazz und improvisierte Musik.
Die historische Bedeutung des 1969 gegründeten Berliner Labels für den europäischen Jazz kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Es hat darin mitgewirkt, dass Jazz zu einer eigenständigen europäischen Musik wurde. Es nahm sozusagen den politischen Gedanken einer europäischen Union musikalisch vorweg.
Nicht mehr länger spielte man in Deutschland, Norwegen oder Frankreich bloß das nach, was in den USA entwickelt wurde, ob nun Swing oder Hard Bop, sondern etablierte ein eigenes Idiom. „European Echoes“ lautete der Titel einer der ersten Veröffentlichungen der FMP.
Es folgten hunderte weitere Platten. Radikale, extreme, experimentelle Platten. Platten mit bratzigem Free Jazz von Peter Brötzmann oder Peter Kowald. Reine Soloaufnahmen des Gitarristen Erhard Hirt oder der Pianistin Irène Schweizer. Platten mit Titeln wie „Ein halber Hund kann nicht pinkeln“, „Jetzt geht’s Kloß“ oder „Vier Fäuste für Hanns Eisler“, die belegen, dass Free Jazz sich selbst nicht immer ganz ernst nimmt. Platten, auf denen bald auch Amerikaner wie Cecil Taylor oder Sam Rivers zu hören waren und die das Label zu einer Art global player machten.
Die FMP war auch ein Gegenstück und eine Ergänzung zur Münchner ECM, dem anderen wichtigen, zeitgleich gegründeten Jazzlabel in Europa, das später kommerziell deutlich erfolgreicher war. Die FMP hatte sich immer geweigert, wirtschaftlich zu denken. Sie begann als eine Musikerinitiative, als Plattenfirma von Musikern für Musiker. In Wahrheit war sie aber schon bald vor allem das Projekt von Jost Gebers, der nebenbei immer weiter als Sozialarbeiter arbeitete, da mit der Musik, die bei der FMP erschien, einfach nie ausreichend Geld zu verdienen war. Der sukzessive Rückzug Gebers’ und undurchsichtige Streitigkeiten um Lizenzrechte besiegelten im letzten Jahr das Endes des Labels.
Freie improvisierte Musik war schon immer ein Genre, in dem es so gut wie unmöglich war, von Plattenverkäufen zu leben. In Zeiten rücklaufender Tonträgerverkäufe hat sich die Situation nochmals verschärft. Selbst renommierte Musiker der Szene leben davon, dass sie auf Festivals eingeladen werden und auf subventionierten Kleinkunstbühnen auftreten dürfen. Werden die Subventionen zurückgefahren, hat man es als unkommerziell ausgerichteter Free-Jazz-Musiker schwer.
Johannes Bauer ist zusammen mit seinem Bruder Conny einer der auch international bekanntesten Posaunisten Deutschlands, er hatte sich bereits in der florierenden Free-Jazz-Szene der DDR einen Namen gemacht. Bauer findet: „Die freie Szene wird in Deutschland vernachlässigt und die Jazzfestivals pflegen eher traditionellen Jazz und nicht unseren.“ Er, der als Teil des Manfred Schulze Bläser Quintetts auch auf der FMP-Box zu hören ist, tritt immer seltener in Deutschland auf. Eher in Frankreich, Österreich und vor allem Norwegen, wo freie improvisierte Musik gefördert wird wie nirgendwo sonst in Europa. Innerhalb Deutschlands wiederum bekommt Bauer immer seltener Engagements in Großstädten, sondern eher auf dem Land, wo es noch umtriebige Vereine gibt, die sich um Fördergelder und Publikum bemühen.
In seiner Heimatstadt ist er fast gar nicht mehr zu hören. „Berlin ist inzwischen weltweit das Zentrum zeitgenössischer improvisierter Musik“, sagt er, „das ist aber nicht das Verdienst der Stadt Berlin. Die Stadt vernachlässigt die Szene extrem.“ Das sieht auch Gitarrist Olaf Rupp so, dessen CD „Stretto“, eine Dauerimprovisation zusammen mit dem Cellisten Tristan Honsinger, ebenfalls in der FMP-Box gelandet ist. „Ich spiele, wenn es irgendwie geht, nicht in Berlin“, sagt Rupp und fügt hinzu: „Hier geht einfach gar nichts.“
(…)
So etwas wie die FMP wird es wohl nie wieder geben.
aus: Der Tagesspiegel, 25. Juni 2011


Reiner H. Nitschke
Bruch mit Traditionen
Das Label FMP blickt mit einer umfangreichen Box
auf über 40 Jahre Free-Jazz-Geschichte zurück

Während der amerikanische Free Jazz durchaus in der Tradition afrikanischer Wurzeln steht und auf Kommunikation mit dem Publikum ausgelegt ist - beeindruckend zu hören beim herzzerreißenden Requiem Albert Aylers anlässlich des Begräbnisses von John Coltrane -, zelebriert der europäische, namentlich deutsche, Free Jazz den absoluten Bruch mit allen Traditionen. Entsprechend kryptisch erscheint dem ungeübten Publikum der Zugang zu dieser Musik. Konzertbesucher und Plattenkonsumenten, die sich hingegen diesem Wagnis öffnen, wähnen sich daher nicht ganz zu Unrecht unter den Auserwählten. In diesem Sinne gibt es kaum etwas Elitäreres als den deutschen Free Jazz, dessen Durchlauferhitzer seit über 40 Jahren das Label FMP ist. Nun blickt die 1969 von Jost Gebers und Peter Brötzmann ins Leben gerufene „Free Music Production“ mit einer 12-CD-Box auf über vier Jahrzehnte zurück.
Keine Frage, diese Musik entzieht sich jeder kommerziellen Anbiederung. Sie ist Zumutung und Herausforderung zugleich und steht damit dann doch in einer Tradition, nämlich der der avantgardistischen Musik des 20. Jahrhunderts. Auch Parallelen zur Kunstwelt werden offenbar. So ist es kein Zufall, dass sich der junge Peter Brötzmann als Assistent Nam June Paiks zur Fluxus-Bewegung hingezogen fühlte. Der Wuppertaler Musiker hätte daher durchaus den Weg in die Kunst wählen können. Stattdessen stürzte er sich mit all seiner brachialen Energie in den Kosmos des Free Jazz, wurde zu dessen gewaltigstem Rufer. Sind Coltrane, Ayler, Sanders die großen Prediger am Saxophon, so ist Brötzmann der Exorzist, dessen gewalt(tät)ige Eruptionen unseren Glauben erschüttern, unser Empfinden völlig neu definierten können. Verbunden mit Schmerzen, aber auch mit völlig unerwarteten Wendungen zum Schönen. Freilich nicht im Sinne eines netten, bunten Bildes. Sein Werk vermittelt eher die ungezügelte Wucht der abstrakten Expressionisten, um bei dem Vergleich mit der Kunst zu bleiben (nicht umsonst wird Ornette Colemans epochales Werk „Free Jazz“ von einem Gemälde Jackson Pollocks geziert).
Doch die Geschichte von FMP ist nicht nur die Peter Brötzmanns, sie spiegelt vielmehr ein schillerndes Kaleidoskop von Musikern, die sich der totalen Freiheit verschrieben haben. Total Music Meeting nannte sich die Veranstaltung, mit der alles im November 1968 im Quasimodo in Westberlin begann. Wer wie der Autor dieser Zeilen das Glück hatte, dabei gewesen zu sein, spürte sogleich die unwiderstehlichen Schwingungen, die von dieser bis dato ungehörten, ja unerhörten Musik ausging. Während zeitlich nur zwei Kilometer Luftlinie entfernt das Establishment in der Philharmonie dem „modernen“ Jazz huldigte, ging hier in den Katakomben des Delphi-Kinos die Post ab.
Willem Breuker, Evan Parker, Fred Van Hove, Peter Kowald, Buschi Niebergall, Han Bennink und Peter Brötzmann ließen unsere Ohren klingen, den Frust über den vergeblichen Versuch, sich für lau in die Philharmonie einzuschleichen, vergessen. Wer danach mit Manfred Schoof und Alexander von Schlippenbach im Globe Unity Orchestra spielte, bringen selbst Insider nicht mehr zusammen. Mit dem Vibraphonisten Gunter Hampel trat einer der ganz wenigen Deutschen auf, die sich bereits in New York einen Namen gemacht hatten. An der Gitarre, man lese und staune, John McLaughlin, der wenig später zu ungeahnten Höhenflügen mit Miles Davis ansetzen sollte. Zu später Stunde gaben sich noch mit Don Cherry, Pharoah Sanders und Sonny Sharrock echte Stars der amerikanischen Avantgarde auf der engen Bühne ein Stelldichein.
In den Folgejahren präsentieren auch die Berliner Jazztage vereinzelt Musiker dieser brodelnden Szene. Was bisweilen dazu führte, dass die in die Philharmonie Geladenen von der „Alternativen-Polizei“ angepöbelt wurden. Selbst der deutschen Jazz-Ikone Albert Mangelsdorff blieb derart intolerantes Gehabe nicht erspart. So ist auch die FMP-Historie - dokumentiert in einem LP-formatigen Buch - eine endlose Geschichte von Eifersüchteleien, Egoismen und permanenten Kämpfen. Umso bemerkenswerter, dass am Ende der Idealismus der Protagonisten, allen voran Jost und Dagmar Gebers, das Label am Leben erhielt.
Die zwölf CDs der Jubiläums-Box geben das bunte Treiben zwar nur bruchstückhaft wieder, zumal die frühen Jahre und die Zeit von Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre gänzlich ausgespart bleiben. Trotzdem bieten sie einen facettenreichen Überblick über das Schaffen. Neben dem elf CDs umfassenden Opus Magnum „Cecil Taylor in Berlin ’88“ sicher ein weiterer Meilenstein im Schaffen dieses einzigartigen Labels.
Das samt Gästen 16-köpfige Globe Unity Orchestra macht mit seinem 1975 in Baden-Baden aufgenommenen Konzert den Anfang, gefolgt von dem Sopranisten Steve Lacy, dem Piano-Trio Irène Schweizer, dem Piano-Quartett Alexander von Schlippenbachs und einem Solowerk Brötzmanns - allesamt aus den 70er Jahren. Die 80er werden ausschließlich in Gestalt des Pianisten Fred Van Hove dokumentiert, während wir in den 90ern wieder auf Brötzmann stoßen, ergänzt durch ein Choral-Konzert des Manfred Schulze Bläserquintetts und „Manuela+“, einem Improvisations-Spektakel mit Rüdiger Carl (Klarinette, Akkordeon), dem Experimental-Gitarristen Hans Reichel, dem Violinisten Carlos Zingaro und der Koreanerin Jin Hi Kim, die unter anderem ein so illustres Instrument wie die koreanische Wölbbrettzither erklingen lässt. Wer diese heraushört, darf sich zu den wahrhaft Eingeweihten zählen.
aus: Fono Forum & STEREO, Juli 2011


Hans-Jürgen Linke
Geschichte im handfesten Karton
Jost Gebers Retrospektive über den freien Jazz und die Free Music Production ist gewichtig. Sie ist keine pauschale Wiederveröffentlichung sondern eine liebevolle, am Einzelstück und seinem Wert für die musikhistorische Entwicklung orientierte editorische Arbeit.

Die Sache mit der freien Musik begann in Deutschland im beziehungsreichen Jahr 1968. Inzwischen kann man mit gutem Recht von „Geschichte“ reden, die da begonnen hat und geschrieben wurde. Berlin, anfangs West-Berlin, und auch Wuppertal waren wichtige Kristallisationsorte dieser Geschichte, aber die Relevanz und der Folgenreichtum waren alles andere als örtlich beschränkt. Ein Indiz dafür, dass es sich inzwischen um Geschichte handelt, also einen sozialen Prozess, der neben seiner Wirkung auch über eine konturierte Tradition verfügt und die Möglichkeit zum Rückblick, kann man jetzt sehen und in die Hand nehmen, und man kann dann spüren, dass es etwas wirklich Gewichtiges ist: ein Buch im emblematischen alten LP-Format, dazu zwölf CDs, das alles in einen handfesten Karton von radikal pathosfreier Farbe verpackt, auf dem nichts zu lesen ist als „FMP - Im Rückblick/In Retrospect“.
Jost Gebers, der als Geschäftsmann, Produzent, Fundraiser, Telefonzentrale, Ideengeber, Organisator, gruppendynamischer Guru und in allen Hinsichten stets selbst Betroffener mehr als drei Jahrzehnte lang das überaus produktive Überleben der Firma FMP, Free Music Production, gesichert hat, hat einen persönlichen Schlussstrich gezogen. Der muss nicht für Andere gelten, mögen und sollen Andere weitermachen, für Jost Gebers ist die Zeit zum Rückblick gekommen.
Das ehrfurchtgebietend umfangreiche Konglomerat aus Tonträgern und Texten zeigt, dass die FMP nicht nur eine historisch gewichtige, sondern auch eine durch und durch persönliche Angelegenheit war, im Zentrum getragen und am Leben gehalten von Gebers, Peter Brötzmann, dem viel zu früh verstorbenen Peter Kowald und einer Reihe weiterer Künstler aus Westeuropa sowie recht bald auch der damaligen DDR. Jede produzierte Langspielplatte, jede Covergestaltung, jedes mitgeschnittene und abgemischte Konzert war ein individuelles Ereignis, geprägt von der fundierten Überzeugung, dass die Wahrheit der Musik das konkrete akustische und soziale Ereignis auf der Bühne sei und der daraus folgende Tonträger seinen Sinn in erster Linie als Erinnerungsträger an eine lebendige Konstellation haben könne.
Es ging um die freie Musik, nicht um die Gründung einer Firma, nicht um die Produktion von Artefakten. Es ging darum, den Künstlern Gehör zu verschaffen. Also nicht einmal darum, Geschichte zu schreiben und zu dokumentieren. Das geschah eher hinter dem Rücken von Gebers und der Szene, die sich um die FMP bildete. Sie nahm ihren Anfang in Nacherzählungen legendärer Ereignisse, in der Erfahrung klanglicher Konfrontationen, die im Laufe einiger Jahre ein teilnehmendes Publikum zu einem Insider-Kreis mit viel eingeweihtem Raunen zusammenschweißte. Es war die Erfahrung eines kreativen Einreißens überkommener (nicht nur musikalischer) Ordnungssysteme, der Neubewertung, Behauptung und Ausdifferenzierung neuer Parameter, einer enorm politisierten Zeit.
Sie ist, das weiß man seit Längerem, vorbei. Aber es ist manches übrig geblieben, und davon kann man in der gewichtigen Kassette einiges wieder finden. Zum Beispiel darin, wie die Autoren in dem schönen quadratischen Buch mit der Haltung der Retrospektion umgehen. Es entsteht kein vorab von einer Herausgeber-Autorität abgeglichener reibungsfrei-additiver Gesamtdiskurs, sondern eine Vielstimmigkeit, ein Panoptikum an Haltungen älterer und jüngerer Autoren unterschiedlicher Provenienzen, ein Spektrum akademischer, essayistischer, historischer, zurechtrückender oder einfach angemessen ehrfürchtiger Haltungen. Alle haben ihre je eigene Berechtigung, alle zusammen bilden sie die Mehrfachperspektive ab, die für die Arbeit in der und um und für die FMP so charakteristisch war - wobei diese Pluralität nicht mit mangelnder Klarheit und schon gar nicht mit scheißliberalem Pluralismus verwechselt werden darf. Kompromisslosigkeit war stets ein unverzichtbarer Grundzug der FMP.
Fast so gewichtig wie die Texte fallen für den Rückblick die Fotos aus. Die Auswahl - es handelt sich überwiegend um Fotos, die Dagmar Gebers gemacht hat - bietet aussagekräftiges Anschauungsmaterial, transportiert Zeitgeist und ist dokumentarisch vorbildlich. Die Fotos können also denen, die dabei gewesen sind, ein anders schwer synthetisierbares Gefühl von erinnerter Authentizität vermitteln helfen: So fühlt sich Geschichte an, die eben gerade noch lebendiges Ereignis war.
Gebers setzt mit dieser herausgeberischen Arbeit sich und Peter Brötzmann ein Denkmal. Dagegen ist nichts einzuwenden, beide sind nun mal die prägenden Figuren in der FMP-Szene gewesen: Garanten dafür, dass all das, was sich da entwickelte, nicht nur Inhalt hatte, sondern Form bekam.
Brötzmann mit seiner Spielhaltung, seiner kompromisslos unmittelbaren, absichtsvoll un-spieltechnischen Art, die Instrumente zu behandeln, bekommt ohnehin im Rückblick den Rang einer Ikone, und nicht zuletzt der Buch-Beitrag von Ken Vandermark zeigt, was für einen erheblichen Einfluss er auf die nachfolgenden Generationen auszuüben vermochte. Gleichwohl wird in dem Rückblicks-Opus jeder, der irgendwann dabei gewesen ist, persönliche Erinnerungen gespiegelt finden.
Nicht nur in Wort und Bild, sondern auch in den zwölf CDs. Es ist kein pauschales Wiederveröffentlichen und Dokumentieren, was Gebers da getrieben hat, sondern eine liebevolle, am Einzelstück und seinem Wert für die musikhistorische Entwicklung der und durch FMP orientierten editorischen Arbeit. Jede CD mit bemerkenswertem Material. Jedes Booklet aktuell und sinnreich getextet. Nichts scheint zu fehlen, manches sieht skurril aus, Erinnerungen werden geweckt, Verschwundenes wird gerettet, einige sind schon gestorben, einige immer weiter gereift. Die Geschichte reicht bis in die Gegenwart und über sie hinaus. Sie hat vielleicht erst angefangen.
aus: Frankfurter Rundschau, 22. April 2011


Diedrich Diederichsen
Ein Universum im Entstehen
Das Berliner Label Free Music Production hat in Deutschland 40 Jahre lang Maßstäbe für den Free Jazz gesetzt. Bevor es endgültig seinen Betrieb einstellt, gibt es zum Abschied noch eine große Box als Rückschau.

Ist Free Jazz heilbar? Dies war die Sorge des Musikers und Humoristen Xao Seffcheque auf seinem Parodien-Album. „Sehr gut kommt sehr gut“, erschienen in den frühen 80ern. Latente und manifeste Symptome dieses Leidens zeigten damals, dass es, trotz aller Triumphe einer Prägnanz- und Verknappungsästhetik der Punk-Jahre, angesichts des Auftretens von Free-Jazz-verliebten No Wavern wie James Chance & The Contortions oder James Blood Ulmer chronische Züge angenommen zu haben.
Auch heute, wo an Subventionen für nicht quotenträchtige Kultur deutlich brutaler gespart wird als um 1980, ist Free Jazz und das, was inzwischen daraus geworden ist, immer noch nicht ganz totzukriegen. Vielleicht ist die Entwicklung improvisierter, freier Musik der einzige Bereich, der tatsächlich bis heute weder von der längst liberalisierten Hoch- und Theaterkultur der Premieren und Vernissagen noch von der längst kommerzialisierten Indie-Rockwelt kleinbürgerlicher Narzissten eingemeindet werden konnte. Dass man die Free-Jazz-Welt als die letzte undomestizierte loben könnte, ist allerdings zugleich das große Problem der Szene; denn echt und undomestiziert ist doch immer nur die Provinz. Für das Desinteresse von Kulturindustrie und gierig vereinnahmender Umwelt gibt es leider oft auch gute Gründe.
Kaum Wiederholungen
Aber trifft das auch auf diese Kultur zu? Ein 12-CD Objekt mit enzyklopädischen Datensammlungen und kenntnisreichen Essays, das die Berliner Free-Jazz-Institution Free Music Production (FMP) zum Abschied nach 41 Jahren veröffentlicht, weist nicht nur Wege in eine ebenso ungekaufte und unabgelenkte wie vor allem langfristig operierende Kultur. Während man sich in bildender Kunst und Theater, von Pop-Musik und politischer Kultur ganz zu schweigen, längst daran gewöhnt hat, immer wieder in bestimmten Rhythmen dieselben Diskussionen zu führen und Leuten beim Neuanfang zuzusehen, die erst mal durch dieselben Aporien waten wie die Vorgänger von vor fünf oder zehn Jahren, kann man hier einem Universum bei der langsamen Erweiterung und Verfeinerung zusehen. Seine geringe Größe und sein marginalisierter Status bürgen dafür, dass eigentlich alle Beteiligten wissen, was alle anderen Beteiligten so treiben. Es gibt mithin kaum Wiederholungen, dafür eine Intensität des Austausches, eine Nachhaltigkeit der Entwicklung ganz ohne Zerfledderung.
Wie so viele uns heute noch beschäftigende Entwicklungen hat der hier dokumentierte, vorwiegend europäische Free Jazz, der sich bald ganz von allem Jazz verabschieden sollte, zwei große Ursprünge. Zum einen natürlich Berlin 1968: Der Bruch der jungen, aggressiven, europäischen Szene mit dem Mutterschiff Jazz und dessen zentraler Veranstaltung Berliner Jazztage. Das von den FMP-Leuten getragene Total Music Meeting wird zur Gegenveranstaltung, die schon kurz zuvor beginnende Gründung großer Ensembles zur künstlerischen Ursuppe: Alexander von Schlippenbachs Globe Unity Orchestra ist der Geburtsort der europäischen Kollektivimprovisation, aber in großer Nähe zu zeitgenössischer Komposition - Schlippenbach ist Student von Bernd Alois Zimmermann - und dem kommenden Prog-Rock-Aufstand: Guru Gurus Mani Neumeier und Jaki Liebezeit von den späteren Can verteilen ihre Percussions auf die Stereokanäle des ersten Globe-Unity-Albums. Auch der FMP-Box-Set beginnt mit Globe Unity, einem Gig aus dem Jahre 1975, dem Zeitpunkt, als die heroischen Jahre kollektiver Intensitätsproduktion und überwältigender Aggression schon auf einen Wendepunkt zusteuern.
Der andere, tiefer liegende Ursprung oder vielleicht auch der Gesprächspartner des erstgenannten Ursprungs ist die europäische Fluxus-Szene. Die bis heute zentrale Figur der FMP-Kultur, Peter Brötzmann, steht 1963 in der Wuppertaler Galerie Parnass und beschäftigt sich mit Nam June Paik, kurz zuvor hat der ausgebildete Grafiker und bis heute aktive bildende Künstler auf einem Fluxus-Foto oder -Plakat das Zappa-Toiletten-Poster ein paar Jahre früher vorweggenommen. Fluxus-Künstler wie Tomas Schmit sind enge Vertraute der Berliner FMP-Szene. Und es bleibt lesenswert, wie der Fluxus-Komponist Henning Christiansen anlässlich eines Konzerts von Cecil Taylor in Kopenhagen im Jahre 1961 das Verhältnis von Fluxus und Free Jazz als produktiven Gegensatz konstruiert.
Schlagzeuger als Schlüsselfiguren
Doch während sich die Weiterentwicklung von Fluxus in zahllosen Künstlerlebensläufen und -projekten im Laufe der 70er und 80er individualisierten, konnte der FMP-Kosmos immer wieder neue soziale Verdichtungen hervorbringen. In der ersten Phase entstehen Schlüsselstile und Schlüsselfiguren - neben Brötzmann, von Schlippenbach und ihren Ensembles und einem Umfeld von Workshop-Orchestern und theatralen Großgruppen wie dem Willem Breuker Kollektief, sind das vor allem diese Schlagzeuger: der schwedische Neodadaist, Komponist und bildende Künstler Sven-Åke Johansson, der niederländische Hyperaktivist Han Bennink, dessen Arsenal an Perkussionsinstrumenten ein kleines Museum verdient, und der Aachener Allrounder, Labelbetreiber und Gesamtaktivist Paul Lovens. (…)
Hinzu kommen schon in den ersten Jahren die zahlreichen britischen Verbündeten, zunächst um das Spontaneous Music Ensemble, das auch 1968 dabei ist, und dann die bis heute international berühmtesten Improvisatoren einer Freiheit nach dem Jazz Derek Bailey, Paul Rutherford und Evan Parker - leider ist nur noch der letztgenannte am Leben. Da sind zum Glück andere britische Freunde der ersten Generation wie Tony Oxley oder Keith Tippett. Eigensinnige Künstlerfiguren wie der Gitarrist und Instrumentenerfinder („Daxophone“) Hans Reichel oder der Bassist und Aktivist Peter Kowald vervollständigen das Bild einer Szene, die neben Westberlin ihre Zentren in den Niederlanden, London, Wuppertal und - zunehmend während der 70er Jahre - auch in der DDR hatte.
Die erste Phase wird hier neben verschiedenen Schlippenbach-Ensembles am großartigsten von einem Trio vertreten, dessen zwangloses Zusammenfügen ungleicher Voraussetzungen ein besonders gelungenes Beispiel dafür abgibt, wie in dieser Kultur Differenz verhandelt, ausgehandelt, mobilisiert wird: nämlich ohne sie zu fetischisieren. Welchen Grund gibt es extrem zu sein, wenn du es nicht mit anderen, die vom Extremsein etwas verstehen, teilen kannst?
Ich rede von dem Trio aus Rüdiger Carl, Irène Schweizer und Louis Moholo, das hier mit „Messer und…“ vertreten ist. Carl, auch er ein der bildenden Kunst nahestehender Musiker, der seine Interessensgebiete immer wieder neu bestimmt hat, damals ganz auf der Kippe zwischen Forscher im inneren des Klanges, Witzbold und expressivem Bläser im klassischen Free-Jazz-Sinne, trifft auf die wichtigste Frau der Szene, die Schweizerin Schweizer: Sie baut um zahllose Ecken gedachte exzentrische Burgen mit ihren Partnern und gibt doch unwiderstehlich deutliche Boogie-Signale, wenn die sich zu verlieren drohen. Moholo, letztes überlebendes Mitglied der seinerzeit aus Südafrika nach UK ausgewanderten Truppe um die Blue Notes und die Brotherhood of Breath, gibt zeitweilig unwirklich, straighte Vorgaben, wenn er nicht diesen dreifach gewirkten doppelten Boden aus einem Drumming legt, das von sechs Armen gespielt zu sein scheint.
Free Jazzer - das hat mich in den 70ern als Jugendlicher an ihnen angezogen - waren und sind beeindruckende Typen. Großzügig, manchmal verstockt, oft etwas bäurisch, körperlich riesig, nicht kalkulierend, objektlos und unfetischistisch, extrem empfindlich, leicht versoffen. Süß. Es half, sie live zu sehen. Wenige sind elegant in der Verausgabung wie Cecil Taylor oder heute Pliakas und Wertmüller. Der zwar nie simple, aber auch in diversen Brechungen noch ziemlich präsentistische Maskulinismus der ersten Phase wird aber von einem Trio wie Carl/Schweizer/Moholo schon in seine Bestandteile aufgezwirbelt. Es beginnt nun eine Phase der Experimente gegen die Experimente, oft auf dem Wege des Solos und des Duos.
Damals als jugendlicher Fan war ich den Solo-Arbeiten aus dem Wege gegangen: einen freien Improvisator, der auch noch für sich allein arbeitet, fand ich langweilig. Anhand des neben Cecil Taylor zweiten großen amerikanischen Freunds von FMP, Steve Lacy, und seiner Solo-Aufnahmen von 1975, sowie mit Hilfe der Solo-Stücke des Brötzmann-Pianisten Fred Van Hove (von 1981 und 86) kann ich genießen, wie falsch ich lag - das sind zwei höllisch schöne Zwischenreiche des je und je koketten, dann wieder aufbrausenden Selbstzweifels. Die dichte Sequenz von Solo-Aufnahmen und Events des stets auch veranstaltenden und kuratierenden Labels um Jost Gebers initiiert eine Phase von ans Eigenbrötlerische grenzende Privatprojekten, die aber bald zu neuen, nun nicht mehr altexpressiven Sprachen des Zusammenspiels geführt haben.
Ein frühes Dokument solch neuen Geistes - und damit dieser dritten Phase - wäre die in dieser Box um Bonus-Tracks erweiterte CD “UND? …plus“ von Stephan Wittwer und Radu Malfatti, ein reifes die Live-Aufnahme der Gruppe Manuela mit Rüdiger Carl, Hans Reichel, Carlos Zingaro und Jin Hi Kim aus dem Jahre 1999 - das gegen die kollektive, performende, präsentistische Ensemble-Intensität entwickelte Frickel-Bewusstsein im Kamp mit sich selbst und den kleinsten spürbaren Partikeln des Klangs hat auf verschiedenen Wegen wieder, erst zu Duo-, dann zu Ensemble-Sprachen gefunden.
Präzise Kammerschlacht
Der Kreislauf der Wiederbegegnungen von FMP-Beteiligten aller Generationen wird vielleicht am deutlichsten in der jüngsten Aufnahme der Box, in der der amerikanische Cellist und Performance-Künstler Tristan Honsinger mit dem internationalen Berliner Gitarristen und Vertreter der aktuell dominanten Generation, gegen die sich zurzeit vielleicht gerade jetzt neue Antithesen entwickeln. Honsinger, der mit nahezu allen in diesem Text erwähnten Musikern zusammengespielt hat, aber auch auf der ersten Single von The Pop Group zu hören war, liefert sich mit dem ca. 20 Jahre jüngeren Rupp eine so selbstverständliche wie präzise, manchmal spielerische Kammerschlacht, das klar wird: Diese Art von momenthaft blindem Verständnis kommt nur zustande, wo ein dichter Sinn des Historischen besteht.
Den verstärkt FMP mit einem Box-Set, das weniger die eigene Geschichte definiert - dafür fehlt logischerweise auch zu viel -, als dass es die Idee eines Umgangs mit eigener Geschichte vorführt, der die Antithesen der Nachwachsenden inkludiert, ohne alles Vorangegangne vergessen zu müssen. Und das im Moment des eigenen Verschwindens: denn Jost Gebers macht das Label nicht weiter. Free Jazz hat gegen die perfiden Heilungskräfte des Marktes aber den ein oder anderen Antikörper ausgebildet.
aus: TAZ, Die Tageszeitung, 8. April 2011


Andreas Fellinger
FMP/Free Music Production
„Es fing an 1968, zum ersten von Berliner Musikern organisierten Anti-Festival, das eine hitzige Kampfansage an die an die Berliner Jazztage war. Geburtsort war das Undergroundlokal ‘Quartier des Quasimodo‘, ein finsteres Loch. So erbost war man in den Sturm-und-Drang-Zeiten einer neuen Generation von Musikern auf die gesamte etablierte Szene, dass Jazzkritiker, wie ein handgemaltes Schild am Eingang warnte, den doppelten Eintrittspreis zu zahlen hatten. Der Autor schwieg beschämt über seine Profession.“

Die Geschichte
Mit diesen Worten beginnt der Jazzkritiker Werner Panke im Jahr 1975 seine Erinnerungen ans erste Total Music Music Meeting, aus dem bald die Free Music Production hervorgehen sollte. Fast ein Vierteljahrhundert später, 1999, bilanziert Hannes Schweiger in Jazzlive # 125 unter dem Titel „European Echoes of a Living Music“ 30 Jahre Free Music Production:
„... Wohl kein anderes Label ist in den letzten drei Dekaden des ausgehenden 20. Jahrhunderts so unmittelbar mit der Entwicklung der europäischen Free Music/Improvisierten Musik in Verbindung zu bringen wie die 1968 ins Leben gerufene Plattenfirma Free Music Production, kurz FMP. Doch nicht nur hinsichtlich der Produktion von Tonträgern mit frei improvisierter Musik hat FMP eine Vorreiterrolle eingenommen, sondern auch betreffend der Organisation von Konzerten und Festivals mit Musikern dieses Zirkels. Namen wie Brötzmann, Kowald, Schlippenbach, Reichel u.v.a.m. sind untrennbar mit FMP verbunden. Die seit 1968 als Alternative zu den mit Staraufgeboten der Mainstream gespickten Jazzevents veranstalteten Konzertreihen "Total Music Meeting" und folglich "Workshop Freie Musik" sind aus der europäischen Veranstaltungslandschaft nicht mehr wegzudenken und gelten heute als eine der wichtigsten internationalen Präsentationsforen improvisierter Musik. Zudem hatte das Auftauchen der FMP die Gründung ähnlicher Initiativen innerhalb Europas zur Folge (ICP, BVHAAST, Incus).
Doch zurück zur Tonträgerproduktion. Gegründet als Kooperative, nicht von ungefähr zum Zeitpunkt der europäischen Studentenbewegungen 1968, um die bereits erwähnten Musiker Brötzmann, Kowald, Schlippenbach und Jost Gebers (er spielte damals noch Bass), stellte es sich FMP neben den Konzertaktivitäten zur Aufgabe, anhand von Tonträgern auf unabhängige Weise europäische, frei improvisierte, akustische Musik zu veröffentlichen. Der Löwenanteil der Aufnahmen, und daran hält man bis heute fest, entstand bei den Konzertveranstaltungen. Jost Gebers, der alsbald sein Instrument beiseite legte, nahm in Personalunion als Produzent, künstlerischer Leiter und Tontechniker fortan die Geschicke von FMP in die Hand.
Später kam Dieter Hahne, der sich um die kaufmännischen und organisatorischen Belange kümmert, hinzu. Bis dato ist FMP keine Plattenfirma nach gängigem Muster und als Non-Profit-Unternehmen konzipiert. 1969 erschien die erste LP mit dem Manfred Schoof Orchestra, in dem fast alle namhaften freien Improvisatoren jener Zeit vertreten waren. Titel: „European Echoes“. Dieser unterstrich das anfängliche Hauptaugenmerk, das auf der Dokumentation der Entwicklung der europäischen (deutschen) Free Music lag. Kooperation mit ähnlich denkenden oben erwähnten Organisationen und deren MusikerInnen in Europa stellten sich alsbald ein und unterstrichen die internationale Bedeutung der FMP-Familie. Einer ihrer weiteren großen Verdienste war, dass sie als erste, und dies bereits in den 70er Jahren, mit Hilfe der Musik symbolisch die Mauer niederrissen und Kontakt bzw. Austausch mit den kompromisslosen Improvisatoren der ehemaligen DDR pflichten und deren Musik erstmals im Westen veröffentlichten.
Apropos international: Der Kontakt zu amerikanischen Innovatoren konnte nicht ausbleiben. Einer der ersten, der zum FMP-Zirkel stieß, war Steve Lacy. Es folgten Projekte mit Frank Wright, Noah Howard, Andrew Cyrille u.a. Diese Initiativen gipfelten in der 1986 begonnenen Zusammenarbeit mit dem Phänomen Cecil Taylor. Bis heute ist die Zusammenarbeit mit herausragenden US-amerikanischen Persönlichkeiten ein wichtiger Aspekt in der Veröffentlichungspolitik von FMP, und sie bot diesen in ihrem Heimatland jahrelang von den Plattenfirmen negierten Musikern die Möglichkeit für unabhängige Plattenproduktionen. Der Austausch Europa - Amerika, das von solch charismatischen Persönlichkeiten wie z.B. Butch Morris, Sam Rivers, Charles Gayle, William Parker repräsentiert wird, ist auf einer Fülle von CDs dokumentiert. Höhepunkt war bisher die grandiose, elf CDs umfassende Edition von Cecil Taylors mehrmonatigem Stipendiat in Berlin 1988. Hiermit wurde der Beziehung zwischen alter und neuer Welt eine völlig neue Bedeutung und Dimension erschlossen. ...
Ende 1991 stellte FMP die LP-Produktion zugunsten der CD völlig ein, und auch das LP-Archiv wurde aufgelöst. Etliche der alten Platten werden bereits zu Liebhaberpreisen gehandelt. Doch ab und zu werden, nach Gebers Dafürhalten, legendäre Aufnahmen auf CD wiederveröffentlicht. Der CD-Katalog umfasst mittlerweile über 150 Produktionen (inklusive der zweiten Veröffentlichungsschiene „FMP OWN“, auf der Künstler die Möglichkeit zu Eigenproduktionen haben). Mit den Möglichkeiten der CD kann jetzt noch effizienter dem „Work in Progresss“-Charakter improvisierter Musik Rechnung getragen werden, und auch mit dem optischen Erscheinungsbild geht FMP eigene ästhetische Wege. ...“
Der Verlag
Der 1985 von Jost Gebers gegründete FMP Musikverlag wurde 1992 von Anna Maria Ostendorf übernommen und unter dem Namen FMP-Publishing weitergeführt und intensiviert. Grund für diese Aufteilung war, mit der Verlagsarbeit eine größere Effizienz zu erreichen, da diese umfangreiche Arbeit bei der Free Music Production (FMP) quasi nur „nebenbei“ erfolgen konnte. Neben den verlagsüblichen Arbeitsfeldern (Registrierung, Einstufung, Kontrolle der Abrechnungen) fand seitdem eine deutlich verstärkte und zusätzliche Promotion für die CDs des FMP-Labels statt und damit auch eine stärkere Präsenz in der Öffentlichkeit. Zusätzlich wurden auf Wunsch einiger Musiker, deren Eigenproduktionen und/oder Veröffentlichungen bei anderen Labels in diese Promotion einbezogen. Daneben wurden in loser Folge auch umfangreiche Noten Editionen erstellt, und zwar nicht nur der mit FMP verbundenen Musiker/Komponisten.
Da die Bemusterung der Medien durch die Lizenznehmerin bereits im ersten Jahr der Vertragslaufzeit mehr als zu wünschen übrig ließ, wurde von FMP-Publishing eine CD-Kleinserie (Auflage je 15 Stück) aufgelegt. Diese Produktionen sind ausschließlich für Sendezwecke bei den deutschen Rundfunkanstalten vorgesehen - ein Verkauf wurde ausgeschlossen. Inhaltlich handelt es sich um ehemalige LP-Titel, Alternative Takes zu bereits bestehenden Veröffentlichungen sowie um unveröffentlichtes Material. Alle Aufnahmen wurden von Jost Gebers komplett überarbeitet und von Jonas Bergler gemastert, in Einzelfällen auch neu gemischt.
Jost Gebers: „Es geht vor allem um die Kontrolle und Anrechnung der Tantiemen und Lizenzen von Kompositionen, die bei FMP verlegt sind. - Leider bis hin zu Prozessen, wenn die Urheberechte eklatant verletzt werden! Im Augenblick läuft zum Beispiel eine Klage gegen einen bekannten Labelbetreiber und Veranstalter in Berlin.“
Das Buch
Jetzt, nach gut 40 Jahren, ist das Label an seinem Ende angelangt. Nur mehr der Verlag lebt weiter. Eine bedeutende Ära der improvisierten Musik dies- und jenseits des großen Teichs liegt in den letzten Zügen. Ein durchaus folgenschwerer Anlass für Jost Gebers, der diese Ära mitgeprägt hat wie kaum ein anderer, um ein wahres Monsterunternehmen zu bewerkstelligen. So legt er am Ende der äußerst lebhaften Labelgeschichte ein in jeder Hinsicht luxuriöses Paket vor, das den ganzen Reichtum dieser vier Jahrzehnte, der die ganze Zeit über ein symbolischer, nie ein ökonomischer Reichtum war, widerspiegelt:
FMP Im Rückblick - In Retrospect, 1969-2010.
Auf 218 Seiten im Format 30,5 mal 30,5 Zentimeter findet sich jede Menge an Texten, Statistiken, Aufzählungen - und viele fantastische, von Dagmar Gebers fabrizierte Fotos aus vier Dekaden Free Music Production.
Wolfram Knauer vom Jazzinstitut Darmstadt eröffnet - nach einer, mit Tinte und Gouache (das Original misst 120 x 100 cm) auf Leinwand gemalten Würdigung durch Peter Brötzmann - mit einem historischen Abriss aus subjektiver Perspektive den Reigen applaudierender Autoren (Autorinnen kommen nicht zu Wort). Von den deutschen Musikjournalisten erinnert Felix Klopotek u.a. daran, dass die Krise kein Phänomen der Jetztzeit ist. „... in den angeblich so goldenen 70er und 80er Jahren stand das Label kurz vor dem Aus. Ohne den Zuspruch von außen hätte Gebers hingeschmissen: Mal intervenierte Peter Brötzmann, der sich wie kein anderer Musiker für das Label engagierte und mit einer wahren Flut an Zukunftsplänen Gebers überzeugte, das Label noch weiterzuführen. Mal war es eine kluge Kulturpolitikerin wie Nele Hertling, die Gebers in Berlin immer wieder die Räume für freie musikalische Erfahrung öffnete ...“ - während Wolf Kampmann seinen Textbeitrag auf die kritischen Jahre ab 1999 konzentriert, als das Label ein weiteres Mal dem Untergang geweiht schien. Verkauf des Labels, Gründung des Verlags, erbitterte Konflikte mit Helma Schleif, erbitterte Gegenwehr durch Gebers‘ Gattin Anna Maria Ostendorf usw. usf.
Bert Noglik arbeitet sich in kurzen Themenblöcken am FMP-Phänomen ab und nimmt in seinem Text besonderen Bezug auf das Verhältnis des Labels zu Musikern (keine Musikerinnen) aus der DDR, in der Noglik aufwuchs und aktiv war. Bernd Mehlitz, ehemaliger Musikreferent am Berliner Kulturamt und Politiker, gegenwärtig hauptsächlich Maler, bilanziert seine Erfahrungen mit Gebers, mit dem Total Music Meeting, dem Label und den jährlich zu vergebenden Kompositionsstipendien.
Der amerikanische Musikkritiker Bill Shoemaker parliert in freier Assoziation über die Wahrnehmung von FMP aus US-Perspektive - unter besonderer Berücksichtigung seines persönlichen Anhaltspunkts freier Musik in Europa, Alexander Schlippenbachs „The Living Music“. Und als einziger Musiker kommt Ken Vandermark zu Wort. Sein „Blick von außen“ reflektiert sein frühes Interesse am FMP-Universum, ausgelöst durch Peter Brötzmanns „Machine Gun“-Album, das ihm sein Freund, der Musikwissenschafter, Journalist, Veranstalter und mittlerweile Galerieleiter John Corbett vorspielte. Dieses Interesse führte auch zur persönlichen Bekanntschaft zu Brötzmann, der nach einem Auftritt des NRG-Ensembles ihn und Mars Williams umarmte und sagte: „Ich erkenne mich in eurem Spiel wieder.“ Die weitere Geschichte darf als bekannt vorausgesetzt werden: die Gründung des Chicago Tentet, finanziert aus Vandermarks McArthur-Preisgeld, und was alles daraus entstand und immer noch entsteht. Besonderen Respekt nötigt Vandermark die ins Leben gerufene Musiker-Selbstermächtigung und die Kontinuität der Free Music Production ab.
Über die genannten Texte und die Fülle an phänomenalen Bildern hinaus finden sich im FMP-Rückblick eine Dokumentation aller live und/oder auf CD vertretenen Musikerinnen, sämtlicher Festivals und Einzelkonzerte, ein Auflistung aller Workshops und sonstigen Specials - sowie ein Katalog aller erschienenen LPs, Singles, CDs & LP/CD-Boxen samt Covers. Ein Prachtband.
Die CDs
Dem LP-Format des Buchs entsprechend (12 inch), umfasst die FMP-Box im Umfang von nicht weniger 32 mal 32 mal 5 Zentimeter folgende zwölf CDs, die alle auch einzeln erhältlich sind:
CD 01 (FMP CD 137): Baden-Baden ’75 / Globe Unity Orchestra & Guests 1975
Enrico Rava, Manfred Schoof, Kenny Wheeler (tp), Anthony Braxton (as), Peter Brötzmann (sax, cl), Rüdiger Carl (as, ts), Gerd Dudek (ss, fl), Evan Parker (ss, ts), Michel Pilz (bcl), Günter Christmann, Albert Mangelsdorff, Paul Rutherford (tb), Alexander von Schlippenbach (p), Peter Kowald (b, tuba), Buschi Niebergall (b), Paul Lovens (dr)
Unveröffentlicht (Ausnahme: “Jahrmarkt” von Kowald, erstveröffentlicht bei PoTorch als LP)
Liner Notes: G. Fritze Margull, Alexander von Schlippenbach/Rüdiger Carl, Martin Speicher
CD 02 (FMP CD 138): In Berlin / Steve Lacy - Solo 1975 & Quintett 1977
Steve Lacy (ss), Steve Potts (as) Irène Aebi (c), Kent Carter (b), Oliver Johnson (dr)
Reissue: Solo (LP Stabs) & Quintet (2. Seite Follies). Liner Notes: Bill Shoemaker
CD 03 (FMP CD 139): Messer und… / Schweizer/Carl/Moholo 1975/77
Rüdiger Carl (as, ts, cl, fl), Irène Schweizer (p), Louis Moholo (dr)
Reissue: LP Messer & 1. Seite Tuned Boots. Liner Notes: Ulrich Kurth
CD 04 (FMP CD 140): At Quartier Latin / Schlippenbach Quartet 1975/77
Evan Parker (ss, ts), Alexander von Schlippenbach (p), Peter Kowald (b), Paul Lovens (perc)
Reissue: LP The Hidden Peak & 2. Seite Three Nails Left. Liner Notes: Klaus Kürvers
CD 05 (FMP CD 141): Wolke in Hosen / Brötzmann Solo 1976
Peter Brötzmann (cl, sax)
Reissue: erste Brötzmann-Solo-LP. Liner Notes: Thomas Millroth
CD 06 (FMP CD 142): UND?...plus / Malfatti/Wittwer 1977
Radu Malfatti (tb, ...), Stephan Wittwer (g, ...)
Reissue: LP UND? & Bonus Track. Liner Notes: Felix Klopotek
CD 07 (FMP CD 143): Piano Solo / Fred Van Hove 1981/86
Fred Van Hove (p)
Reissue: LP Prosper 1981 & LP Die Letzte 1986. Liner Notes: Rob Leurentop
CD 08 (FMP CD 144): Close Up / Die Like A Dog 1994
Peter Brötzmann (sax, tarogato, cl), Toshinori Kondo (tp, e), William Parker (b), Hamid Drake (dr, perc)
Unveröffentlicht. Liner Notes: David Keenan
CD 09 (FMP CD 145): Choral-Konzert / Manfred Schulze Bläser Quintett 1998
Paul Schwingenschlögl (tp), Manfred Hering (as), Heiner Reinhardt (ts), Gert Anklam (bs), Johannes Bauer (tb)
Unveröffentlicht. Liner Notes: Bert Noglik
CD 10 (FMP CD 146): Live In Berlin / MANUELA plus 1999
Rüdiger Carl (cl, akk, claviola), Jin Hi Kim (komungo), Hans Reichel (g, dax), Carlos Zingaro (v)
Unveröffentlicht. Liner Notes: Felix Klopotek
CD 11 (FMP CD 147): Was Da Ist (live) / Peter Kowald 2000
Peter Kowald (b, voc)
Unveröffentlicht. Liner Notes: Ulrich Kurth
CD 12 (FMP CD 148): Stretto / Tristan Honsinger & Olaf Rupp 2010
Tristan Honsinger (c), Olaf Rupp (g)
Unveröffentlicht. Liner Notes: Clifford Allen
FMP Im Rückblick - In Retrospect, 1969-2010
Mit Beiträgen (alle Artikel in Deutsch und Englisch) von:
Wolfram Knauer, Felix Klopotek, Ken Vandermark, Bert Noglik,
Bill Shoemaker, Wolf Kampmann, Bernd Mehlitz
sowie Statements von Peter Brötzmann & Jost Gebers
Fotos von Dagmar Gebers,
Auflistung aller Künstler/Musiker und Projekte seit 1968,
Katalogteil mit allen LPs, Singles und CDs plus Covers,
218 Seiten + 12 CDs, 250 Euro
aus: freiStil # 36, April/Mai 2011


Roland Spiegel
Der Himmel der Ungezähmten
Zwölf CDs mit Schätzen der „Free Music Production“ aus 40 Jahren
Das ist eine Schatzkiste. Fünf Kilo radikale Töne.
Verstörende und verwegen schöne Musik.
Eingepackt in diskretem Paketgrau - doch der Inhalt entführt mit Urkräften in andere Welten.

Da sind die grollenden, rumpelnden und fein zirpenden Klang-Erkundungen des Bassisten Peter Kowald, solo im Jahr 2000 im Berliner Spielort Podewil.
Da ist die klirrende, pulsierende, ganz fein ziselierte freie Kammermusik des Trios von Pianistin Irène Schweizer, Schlagzeuger Louis Moholo und dem Blas-Instrumentalisten Rüdiger Carl 1975 in Moers und Graz.
Da ist der losgelassene Bienenschwarm schwirrender Klänge und das Knarzen und Kribbeln leiser Geräusch-Aktionen vom Quartett des Pianisten Alexander von Schlippenbach 1975 und 1977 im Berliner Konzertsaal Quartier Latin.
Und viel mehr. Zwölf CDs plus ein über 200-seitiges Buch im LP-Format mit vielen Fotos - das Ganze unter dem Titel „FMP im Rückblick - In Retrospect 1969-2010“. Dieses Label gründete der Sozialarbeiter und Musiker zusammen mit Peter Brötzmann, Peter Kowald und Alexander von Schlippenbach 1969 nach dem ersten Berliner „Workshop Freie Musik“.
Die FMP wurde zu einem „Zentrum der europäischen Jazz-Entwicklung“ - wie es der Schweizer Publizist und Musikverleger Patrik Landolt auf den Punkt brachte. Was Rang und Namen hatte in der Welt der schrankenlosen Klänge, nahm bei FMP auf und spielte beim „Total Music Meeting“, dem Free-Jazz-Festival, das jedes Jahr parallel zum „JazzFest Berlin“ stattfand. Eine starke Aura umgibt die Namen FMP und „Total Music Meeting“. Die Aura von langen, tönenden Nächten im Quartier Latin in der Potsdamer Straße - mit bärtigen Männern als Türhüter, die junge Neuankömmlinge kritisch beäugten. Eine Aura auch von musikalischen Großtaten. Die vielleicht berühmteste: ein einmonatiges Arbeitsprojekt des großen Free-Jazz-Pianisten Cecil Taylor 1988 in West- und Ostberlin - veröffentlicht in einer aufregenden und wunderbar gestalteten CD-Box mit vielen Stunden voller musikalischer Abenteuer.
Nun also ein Nachschlag mit ganz anderen Akzenten: Aufnahmen aus diversen Jahren von diversen Orten. Das Globe Unity Orchestra, das Free-Jazz-Orchester schlechthin, in Baden-Baden 1975, Saxophonist Steve Lacy in Berlin 1975 und 77, Cellist Tristan Honsinger mit Gitarrist Olaf Rupp 2010 in Berlin. Und: der Saxophonist und Klarinettist Peter Brötzmann (der am 6. März 2011 siebzig geworden ist) einmal solo 1976 und einmal im Quartett 1994 - mit den schönen Titeln „Wolke in Hosen“ und „Die Like A Dog“. Musik, die nach Pech und Schwefel riecht - und in den siebenten Himmel der Ungezähmtheit führt.
„und tschüss“ endet Jost Gebers’ Anschreiben in der Postsendung der Box. Endgültiger Abschied? Man weiß es nicht. Auch die Geschichte von FMP nach einer Aufspaltung im Jahr 2000 und dem schweren Fehler Gebers’, damals wegen persönlicher Rückzugspläne die Berliner Senatszuschüsse für das „Total Music Meeting“ aufzukündigen, ist schwer zu begreifen - selbst nach Lektüre sehr substanzreicher Beiträge im Begleitbuch der CD-Box. Man liest, grübelt. Und hört. Zwölf und mehr Stunden - und hofft auf weitere zu hebende Schätze. Mit kompromissloser und immer noch hoch spannender Musik
aus: JazzZeitung # 2/2011; April/Mai 2011


Reiner Kobe
FMP im Rückblick / In Retrospect
So grau die übergewichtige, große Box daherkommt, so schillernd ist ihr Inhalt. Dokumentiert sind 40 Jahre Jazzgeschichte der besonderen Art: kreative Prozesse und Arbeitsphasen freier Musik, die gern gegen die Regeln konventionellen Jazzschaffens verstießen. Ihnen hat sich die „Free Music Production“ (FMP) verschrieben, diese „weitgehende Einheit von Leben, Musik und Tun“ (Noglik). Sieben Autoren reflektieren jetzt die Geschichte und Bedeutung der Berliner Firma, die im Herbst 1969 als Kollektiv gegründet wurde. Im großformatigen Buch, das mit einem Dutzend CDs die Box prägt, wird die Geschichte dieser Firma lebendig, die mehr war als ein Label. Sie begann, als der europäische Jazz nicht nur künstlerisch, sondern auch organisatorisch eigene Wege ging. Die FMP war deshalb so erfolgreich, so Wolfram Knauer, in seinem Beitrag, weil sie es verstand, „ihr Programm nach den Anforderungen der Musiker zu richten“. Es war gar nie ein Programm, hält Bert Noglik fest, sondern offene Begegnungsmöglichkeit, um musikalische Prozesse in Gang zu setzten, um neue Musik entstehen zu lassen. Die FMP bewegte sich stets in und mit den Errungenschaften des Free Jazz, war „ein markanter Punkt in der Selbstfindung des Free Jazz“. Von einem „FMP-Sound“ will Felix Klopotek trotzdem nichts wissen, denn die Firma war „extrem heterogen“. Es ging um eine „Plattform, auf der wir die unterschiedlichsten Sounds hören“. Mit weiteren Legenden wird aufgeräumt: „Die Bedeutung von FMP liegt also nicht darin, dass es einen Aufbruch darstellt - umgekehrt: das Label resultiert aus einem Urknall, steht für das Bemühen, diese stets prekäre, da fundamental nonkommerzielle Musik zu konzentrieren, in institutionell geregelte Bahnen zu lenken“ (S.56). Die FMP, so das Fazit, hat sich überlebt, ist ein „Stück Musikgeschichte“. Sie hallte allerdings bis in die Vereinigten Staaten nach. Bill Shoemaker, für den die FMP den „Zeitgeist in der europäischen Musik am Ende der sechziger Jahre, Anfang der siebziger Jahre“ verkörperte, berichtet von seinen ersten Erfahrungen mit der Firma, als er 1978 Brötzmanns „Machine Gun“ und Schoofs „European Echoes“ hörte. Auch Ken Vandermark war von Peter Brötzmann begeistert. Anhand des Doppel-Albums „Duets Dithyrambisch“ (FMP CD 19/20) lernte der US-Saxophonist, wie er gesteht, die Zirkularatmung.
Wer sich mit den einführenden Beiträgen beschäftigt, ruhig die exzellenten Fotos von Dagmar Gebers gesehen und die enorme Anzahl reproduzierter Plakate betrachtet hat - die FMP fungierte auch als Veranstalter - kann sich manchem Hörgenuss hingeben. Das Dutzend CDs, von dem die Hälfte bislang unveröffentlicht ist, bildet das Rückgrat der Retrospektive. Peter Brötzmann, Peter Kowald und Alexander von Schlippenbach, die von Anfang an dabei waren, bilden so etwas wie den Grundstock des Katalogs der FMP. Die erste Generation des Free Jazz hat es allerdings der nachkommenden Generation nicht leicht gemacht. Sie ist bei der Firma nach wie vor unterrepräsentiert. Einzig die letzte CD stellt mit neuen Aufnahmen den jungen Gitarristen Olaf Rupp vor. Trotzdem herrschte seit Mitte der siebziger Jahre eine gewisse Stil-Vielfalt.
Den Anfang alter und neuer CDs macht Alexander von Schlippenbach mit Globe Unity. .Der unveröffentlichte Live-Mitschnitt von 1975 präsentiert das freie Kollektiv, das nirgendwo besser dokumentiert ist als hier, in seinen besten Momenten. Was bei allen FMP-Aufnahmen auffällt ist, dass allseits ohne kommerziellen Druck produziert wurde. Jost Gebers, der die Firma seit 1976 alleinverantwortlich führte, war als Produzent fern von jeglichen Zwängen, da er als Angestellter des öffentlichen Dienstes sein Einkommen hatte. 1999 zog er sich vom aktiven Geschehen zurück, um den Vertrieb an seine Nachfolgerin Helma Schleif zu übergeben. Diese versuchte sich gleich die ganze Firma unter den Nagel zu reißen, so dass es plötzlich zwei FMPs gab, was zu langjährigen juristischen Auseinandersetzungen führte. Freilich wird der Konflikt im Buch nicht verschwiegen, im Gegenteil: Wolf Kampmann referiert nüchtern die gerichtlichen Auseinandersetzungen, die für Außenstehende schwer nachzuvollziehen sind. Dass Jost Gebers gesiegt hat, hat an den zwei FMPs wenig geändert. Immerhin gab es nach 2000 noch ein paar Ausgaben des Total Music Meeting, das sich neuen Spielweisen und Improvisatoren öffnete. Diese Tatsache wird in dem ansonsten recht wertvollen und lesenswerten Band einfach übergangen. Akribisch dokumentiert diese prachtvolle Box alle LPs, CDs, Special Editions und schließlich alle Musiker, die jemals bei FMP auftraten oder aufnahmen, penibel auflistet. „Die FMP“, liest man als Fazit, war „ein markanter Punkt des europäischen Jazz“. Die wichtigsten Protagonisten der freien Musik sind nirgends besser aufgehoben.
aus: Jazz Podium # 4, April 2011


Günther Huesmann
Free-Jazz-Geschichte
Das Berliner Label FMP präsentiert eine imposante Retrospektive
Kaum ein anderes europäisches Plattenlabel hat sich der Idee des Spontanen - der Improvisation ohne vorher festgelegte Gerüste - so vorbehaltlos und konsequent verschrieben wie das Berliner Label FMP. Anfangs ein Musikerkollektiv, später weitergeführt vom Produzenten und Netzwerker Jost Gebers hat die Free Music Production die experimentelle Musik entscheidend mitgeprägt und verändert. Jetzt blickt die FMP auf die vielgestaltige 40-jährige Geschichte des Labels zurück. Die 12-CD-Box “FMP - Im Rückblick/In Retrospect” bringt nicht nur bisher unveröffentlichte Aufnahmen von Peter Brötzmann, Steve Lacy, Irène Schweizer und vielen anderen, sondern lässt auch in einer Buchdokumentation noch einmal die ganze Bandbreite des Schaffens der FMP-Künstler Revue passieren.
aus: SWR, NOWJazz, 14. April 2011


Karl Lippegaus
Ungeglättet, unbequem
Ein furioser Rückblick auf 40 Jahre Freistilkunst des Labels FMP
Bohlen, Speedmetal oder Musikantenstadl, alles geht, nur bitte keinen - wie heißt das Zeug? - Free Jazz! Selbst die Rapper und Soundmixer von heute haben mit den Klängen der Free Music Production (FMP) oft ihre Schwierigkeiten. Dennoch wird nun das 40jährige Bestehen der FMP gebührend gewürdigt, mit einer opulent ausgestatteten CD-Box. Als diese Platten entstanden, ging es um den Sound der Apokalypse, das große Geheul, das verdammt befreiend wirkte.
Das Erstaunliche an dieser Abstraktionsmusik ist, dass sie immer noch wirkt, als wäre sie gestern entstanden, während die Begleittexte mit wenigen Ausnahmen (Lake, Müller, Shoemaker) hilflos hinterher stolpern (da wird „an Klangfelder angeknüpft“, oder es geht in „den Steinbruch der Klänge“). Der übrige Teil der Box, neben der Musik die vielen Fotos und wunderbaren Plakate, ist eine editorische Großleistung. Die im 220 Seiten starken großformatigen Booklet in extenso ausgebreiteten firmeninternen Streitereien zwischen dem Produzenten Jost Gebers und der gescholtenen Nachfolgerin Helma Schleif werden allerdings die meisten Hörer kaum interessieren, mag das auch Teil der FMP-Streitkultur sein. All diese Künstler sind heute so aus dem Blickpunkt der Massenmedien geraten, das der Herausgeber der Edition (Gebers) vermutlich gar keine andere Möglichkeit sah, auf die desolate Lage seines Lebenswerkes hinzuweisen. Mutig stürzte sich „der Jost“ einmal mehr in erhebliche finanzielle Risiken, um zu zeigen, was damals geschah.
FMP im Rückblick ist kein modischer Remix, keine „Best-of“- oder „Greatest Hits“-Versammlung, sondern eine fast schon übertrieben puristische Auswahl von 12 Alben. Dass dabei Wichtiges fehlt - etwa die Öffnung zur afroamerikanischen Szene mit Cecil Taylor und Charles Gayle -, sei nicht verschwiegen. Überholt wirkt das diffuse Gequietsche von Wittwer & Malfatti, Rüdiger Carls Manuela stochern durch asiatischen Kunstnebel, selbst Irène Schweizer gelingt mit ihrem Trio wenig Kohärentes, während die Amateuraufnahmen vom Duo Honsinger & Rupp einem jedes Hörinteresse vergällt. Aber: Die alten Klischees vom Einfach-drauflos-Spielen revidieren bravourös das Globe Unity Orchestra mit Anthony Braxton, Steve Lacys Sopransaxofon-Monologe sowie Evan Parkers hitzige Dialoge mit dem Ausnahmetrommler Paul Lovens. Schlagfertig, spitzfindig und humorvoll der unvergessene Peter Kowald in Was da ist, worauf Peter Brötzmanns Die Like ADog mit dem Trompeter Toshinori Kondo den Geist Albert Aylers beschwört, den man im Winter 1970 aus dem eiskalten East River fischte. Rau und verstörend, unbequem und ungeglättet war (und ist) diese Freistilkunst - fast wie das wahre Leben. Bleibt zu hoffen, dass von ihrem Erfindergeist noch etwas eindringt in unsere öde aktuelle Musiklandschaft. (…)
aus: Die Zeit # 11, 10. März 2011


Ulrich Olshausen
Zarte Seelen im Kugelhagel
Die Berliner Free Music Production in einer opulenten Rückschau - ein ideales Geburtstagsgeschenk für den Jazzer Peter Brötzmann.

Eine Ära wird besichtigt, die Ära des deutschen Free Jazz und seiner weltweiten Verwicklungen: in einer Veröffentlichung, wie es wohl noch keine in Europa gegeben hat. Die Firma Free Music Production (FMP) blickt zurück auf über vierzig Jahre ihres Bestehens in einer geradezu monströs aufwendigen, materialreichen und unterhaltsamen Box eines scheinbar unendlichen Informationsflusses an Fakten und Musik. Das Werk besteht aus zwölf CDs und einem 218 Seiten umfassenden Buch.
Auch wenn die FMP die längste Zeit ihrer Geschichte mit einem geschäftsführenden Mastermind identifiziert wurde, so war ihr Gründungsambiente doch ein ganz anderes als etwa bei ECM. Hervorgegangen ist sie nicht aus den drängenden Phantasien Einzelner, sondern aus einem Musikerkollektiv, zu dem Jost Gebers als Bassist am Anfang selbst noch gehörte und das an der radikalsten Bruchstelle in der Entwicklung des Jazz nach neuen Bühnen für seine Vorstellungen von Avantgarde suchte. Und dieser Begriff hatte damals, zumindest in diesem Bereich, durchaus noch seinen Sinn. Postmoderne Beliebigkeit war in weiter Ferne, es galt, sich von vorgegebenen Harmonieabläufen, erkennbaren Metren und konventionellen Vorstellungen von „Swing“ und Klangverbindlichkeit zu lösen und neue Freiheiten des Individuums zu feiern. Zu diesen Freiheiten gehörte zwar auch immer noch das große, egozentrische, allerdings formal ganz anders aufgestellte Solo, aber als entscheidende Innovation kam das Erlebnis des freien Kollektivs hinzu, die rauschhafte Gemeinsamkeit eines nie vorhersehbaren, durch Zufälle und das Unterbewusstsein mindestens so sehr wie durch den Verstand gesteuerten Flusses.
Zu den Musikern der ersten Stunde gehörten Manfred Schoof, Alexander von Schlippenbach, Peter Kowald und vor allem Peter Brötzmann, die ihre Unabhängigkeit von Plattenfirmen und Veranstaltern schon in verschiedenen selbstorganisierten Konzertreihen vorgelebt hatten, unter anderem 1968 im „Total Music Meeting“ als Konkurrenz zu den Berliner Jazztagen. Ein Jahr später wurde auf Initiative von Peter Brötzmann die Firma Free Music Production von Jost Gebers gegründet, der 1976 alleiniger Verantwortlicher wurde und blieb.
1969 ging das also los mit den Schallplattenproduktionen. Die erwähnten Deutschen spielten zwar bevorzugt mit, aber schon auf der ersten Veröffentlichung („European Echoes“ des Manfred Schoof Orchestra) gab es Italiener, Holländer, Engländer und Schweizer. Schon bald kamen die DDR-Musiker ins Bild, die erstaunlich freizügige Reisevorschriften genossen (weil die zuständigen Funktionäre sie als ungefährliches Aushängeschild liberaler Kulturpolitik einschätzten) aber auch in ihrer Heimat aufgesucht wurden und der FMP ihr internationales Renommee verdankten. Übrigens war auch Albert Mangelsdorff, dessen Sache der reine Free Jazz später nicht mehr war, noch bis 1978 gelegentlich bei der FMP zu hören. Ende der Siebziger kamen die Amerikaner dazu, die in Berlin (der Senat half mit) Bedingungen vorfanden, von denen sie zu Hause kaum träumen konnten. Am meisten profitierte von der FMP Cecil Taylor, der immer wieder bei den Total Music Meetings auftrat und 1988 ein Werk herausbrachte, das Wolfram Knauer als „die im Jazz vielleicht beeindruckendste Dokumentation des Schaffens eines Musikers zu einer bestimmten Zeit“ bezeichnete. Man hat der FMP immer einen unverwechselbar eigenen Charakter attestiert, und Amerikaner bestätigen ihr eine europäische Gegenwelt bei der Auffüllung des Vakuums nach dem Tod von John Coltraine, Eric Dolphy und Albert Ayler. Aber was das typisch Europäische ist, lässt sich so leicht nicht benennen. Der Ausdruckswille, die Empfindlichkeit gegenüber dem Autoritären, die stilistische Toleranz von einem Eigenbrötler wie Hans Reichel bis zu der „furchteinflößenden Energiemusik“ und dem „Kugelhagel“ von Peter Brötzmann und doch eine Ahnung europäischer Traditionen im Struktur- und Artikulationsbewusstsein, etwa auch des „zerfallenden Serialismus der neuen Musik“, wie ein Kritiker vermutete? Vielleicht.
Bei der Auswahl der zwölf CDs der vorliegenden Box beging Jost Gebers nun nicht den Fehler, sie einzeln noch einmal zum Gemischtwarenladen möglichst vieler unterschiedlicher Eindrücke zu machen. Ein repräsentativer Querschnitt durch mehr als vierhundert Produktionen ist bei der enormen und, in Anbetracht des Rubrums „Free Jazz“, nicht für möglich zu haltenden Vielfalt des FMP-Katalogs gar nicht machbar. So bekennt sich Gebers, ohne chronologische Zwänge, zu abgerundeten Produktionen einzelner Künstler mit all ihrer Genialität, allen Macken, Abenteuern, Aufbrüchen, Abstürzen. Von Cecil Taylor ist leider nichts dabei. Zu viele aktuelle CDs seinen noch auf dem Markt, sagt Gebers dazu.
Peter Brötzmann, der am 6. März siebzig wird, hat als Einziger zwei CDs im Karton liegen, und das ist gut so. Denn er ist der Multifunktionsmann der FMP; Mitbegründer, Grafiker, Helfer und Organisator bei den weitverzweigten Workshop- und Konzertaktivitäten, Brückenkopf für die amerikanischen Verbindungen, Aufmunterer in vielen schweren Krisenzeiten, Aushängeschild und geradezu Symbol für den deutschen oder sogar europäischen Free Jazz und folglich für die FMP. Jost Gebers präsentiert ihn listig nun gerade nicht mit den martialischen Attacken, mit denen er (etwa auf der CD „Maschine Gun“ von 1968) zu leicht assoziiert wird, sondern mit einer Solo-CD, auf der er, auch mit Nebeninstrumenten wie Klarinetten und Basssaxophon, feinste Klangspiele ziseliert und in poetischen Liedthemen seine zarte Seele schwingen lässt. Die zweite enthält bisher unveröffentlichte Aufnahmen eines hochkarätig besetzten Quartetts, in dessen Mitte er als Teamplayer und bedachtsamer Komponist ein anrührendes Panorama der Formen, Ausdrucksintensitäten und Begegnungen erzeugt. Die wunderschöne Eröffnungs-CD der Edition von Alexander von Schlippenbachs Globe Unity Orchestra von 1975, auch sie bisher unveröffentlicht, sei noch hervorgehoben, weil sie am einen Ende des FMP-Stilhorizonts aufzeigt, wie viel spätbürgerlicher Planungssinn, Humor und wie viele ironisch liebevolle Erinnerungen ins neue Paradies der Freiheit noch mitgenommen werden konnten. Andere Namen auf den CDs sind Irène Schweizer, Rüdiger Carl, Anthony Braxton, Steve Lacy, Fred Van Hove, Johannes Bauer und Evan Parker.
Das beiliegende Druckwerk ist Sach- und Geschichtsbuch, Familienchronik und philosophisch-musikalische Exegese, geschrieben von den besten Kennern der Materie deutscher und amerikanischer Zunge, in der Summe jedenfalls mit das Beste und Vollständigste, was je über das Phänomen Free Jazz verfasst wurde. Nach der Lektüre hört man die Musik noch einmal anders, selbst wenn man mit ihr aufgewachsen ist. Behandelt wird auch der derzeitige Status der FMP. Natürlich musste die Dominanz der Herrschaft über diesen besonderen Stilbereich irgendwann ein Ende haben, schon auch, weil es eine so relativ klar einzugrenzende „Gattung“ im Fortgang der Generationen gar nicht mehr gab und viele andere Unternehmen die sich in unzählige Richtungen entwickelnde freie Musik als Teile ihrer Programmpolitik aufnehmen. 1999 trug sich Jost Gebers, der seine Tätigkeit als Sozialarbeiter nie aufgegeben und sich so die Unabhängigkeit von den unwägbaren Einkünften der FMP bewahrt hatte, mit Plänen, die drei Bereiche Verlag, Plattenproduktion und Konzertveranstaltungen entlastend neu zu strukturieren. Dabei kam es mit einer neuen Geschäftspartnerin zu unendlichen Irrungen und Wirrungen, jahrelangen Prozessen und Auflösungsszenarien. Mittlerweile hat sich die Situation beruhigt, und Jost Gebers ist im Moment damit beschäftigt, ein riesiges Archiv unveröffentlichter Aufnahmen, vor allem Konzertmitschnitte, zu katalogisieren - weitere CD-Produktionen nicht ausgeschlossen.
Das Buch listet alle bisher erschienenen LPs und CDs und alle Daten und Besetzungen der Konzerte auf. Alle Texte erscheinen in Deutsch und Englisch. „Nur Besessene und Sturköpfe bringen so etwas zustande“, sagte Jeff Gauthier zu dieser Art von Lebensleistung. Er meinte sich selbst und sein kleines kalifornisches Jazz-Laben anlässlich von dessen Zehnjahresfeier.
aus: FAZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Februar 2011


Thomas Rothschild
Die Heimat des Free Jazz
Als ECM kürzlich ihren vierzigsten Geburtstag feierte, wurde einmal mehr das Lob Manfred Eichers gesungen. Er ist wohl der am meisten gefeierte Schallplattenproduzent. Mit Recht. Seine Fähigkeiten sind unbestritten, und das Programm seines Labels zeugt davon. Aber im selben Jahr, in dem ECM gegründet wurde, 1969, kam auch ein anderes deutsches Label zur Welt, und sein Mitbegründer Jost Gebers darf auf seine Weise als ebenso verdienstvoll gepriesen werden wie Manfred Eicher.

FMP steht für Free Music Production, und Gebers ist es zu verdanken, dass der Free Jazz hier eine Heimat gefunden hat, die ihm mit Sicherheit verweigert bliebe, wenn nur kommerzielle Kriterien als Maßstab angelegt würden. Der Free Jazz war immer die Musik einer kleinen Minderheit, und die ist in den vergangenen Jahren nicht gewachsen. Jost Gebers aber und FMP ließen sich nicht beirren. Sie blieben ihrer Überzeugung treu, verzichteten auf Kompromisse, entschieden sich für eine Redlichkeit, die im kapitalistischen Alltag obsolet erscheint und der man auch dann Respekt zollen muss, wenn man diese Überzeugung selbst nicht teilt.
Jetzt hat FMP eine ebenso schlichte wie schöne Box herausgebracht, die mit 12 exemplarischen CDs und einem Begleitbuch die Arbeit der vergangenen vier Jahrzehnte dokumentiert. Sie deckt sich weitgehend mit der Geschichte des Total Music Meetings, das alljährlich in Berlin einen Kontrapunkt zum Jazzfest lieferte. (…). Dass überhaupt mit öffentlichen Geldern von allerdings lächerlich geringem Ausmaß ausgeholfen wird, ruft schon den Neid und säuerliche Kommentare mancher Konkurrenten hervor, die sich lieber den Gesetzen des Marktes unterwerfen als sich in der Forderung nach einer Jazzförderung zu solidarisieren, die diesen Namen verdient.
Auch ein Dutzend CDs muss sich beschränken
Die 12 CDs bieten einen repräsentativen Querschnitt durch das Programm von FMP. Da trifft man auf Peter Brötzmann, im Solo und im Quartett, auf die phänomenale Pianistin Irène Schweizer, auf Steve Lacy, auf den Ausnahmebassisten Peter Kowald, auf Tristan Honsinger, auf Radu Malfatti, auf Fred Van Hove, auf die Combos Manuela und Manfred Schulze Bläser Quintett, auf Alex Schlippenbach sowie sein Globe Unity Orchestra mit Gästen, zu denen die Creme des Free Jazz und angrenzender Bereiche – Kenny Wheeler gehört ebenso dazu wie Albert Mangelsdorff oder Enrico Rava – zählt. Auch ein Dutzend CDs muss sich beschränken. Der Fan mag den einen oder anderen Musiker, die eine oder andere Formation vermissen, namentlich Cecil Taylor, um dessen Werk sich FMP kontinuierlich und liebevoll bemüht hat. 
Das prachtvolle großformatige Begleitbuch mit zahlreichen aussagekräftigen Fotos von Dagmar Gebers enthält in deutscher und englischer Sprache Aufsätze teils persönlicher, teils sachlicher Art sowie eine umfangreiche Dokumentation der Künstler, der Projekte und des Gesamtprogramms von 1969 bis 2010.
aus: Titel-Magazin, 4. Februar 2011


Adam Olschewski
Klänge von hier, von jetzt, von immer
Das einst wegweisende deutsche Jazz-Label verabschiedet sich mit einer großen Box
Man darf traurig sein in diesen Tagen, sich eine Träne leisten, zwei, drei - viele. Aber auch dankbar darf man sein. Nach 41 Jahren und 300 LP- und CD-Produktionen wird die FMP, die Free Music Production, geschlossen: Jenes Plattenlabel aus Berlin also, das Impulse aus gänzlich verschiedenen Richtungen, die man gern unter dem Hut «Free Jazz» zusammendrängt, in die Welt schickte. Man schließt den Laden, weil der 70-jährige Jost Gebers, der Leiter des Labels, nicht mehr mag. Als ein großzügiges Lebewohl legt man noch eine Box im Longplayer-Format mit CDs und ein reich bebildertes Buch vor; eine Box, die sich wie eine Grabplatte auf das schiebt, was gewesen ist.
Freie Musik, befreite Musiker
Was gewesen war, nahm den Anfang in einer Tiefgaragen-Session in Köln, die einige Rheinländer, darunter der Saxofonist Peter Brötzmann, der Pianist Alexander von Schlippenbach, der Trompeter Manfred Schoof, 1968 organisiert haben. Im November gleichen Jahres folgte das erste Total Music Meeting, das Musiker präsentierte, die länger an einer heiklen oder aufregenden Idee bastelten. Jost Gebers trat zunächst selber als Bassist auf. Schon fünf Monate später kam eine andere Veranstaltungsreihe hinzu, die sich ebenfalls über Jahrzehnte hielt: der Workshop Freie Musik. In der Berliner Akademie der Künste wollte man spontan Dynamik erzeugen und vermitteln, gleiche Musiker in unterschiedlichen Konstellationen auftreten lassen und so andeuten, welch breitgefächerte Prozesse Improvisation in Gang setzen kann.
Es waren Zeiten des Aufruhrs, folglich legte man mit dem Meeting während der etablierten Berliner Jazztage los, die damals der Jazzkritiker Joachim Ernst Berendt veranstaltete. Zu den Jazztagen war auch Brötzmann mit einer Band geladen, die Auftrittsauflage: schwarze Anzüge. Das Quartett verzichtete, womit eine Wegmarke des Widerstands gesetzt war. Keine Abhängigkeiten - man wollte das Selbsterzeugte in den eigenen Händen halten, deshalb wurde im September 1969 schließlich ein spezielles Label gegründet.
Die Musiker regierten hier ursprünglich selber. Doch schnell erkannte Gebers, dass die Organisation zweier Konzertreihen und die Plattenproduktion nach einer Person verlangten, die sich diesen Aufgaben komplett hingab. Sein Bass ruhte bald mehr oder weniger, seinen Lebensunterhalt musste er indes als Sozialarbeiter absichern. Entschieden wurde damals basisdemokratisch, Gebers setzte die Entscheidungen um. 1972 wurde er Geschäftsführer, 1976 erhielt er mehr Freiheiten, entschied bisweilen auch im Alleingang. Unterstützung für Meeting und Workshop, die jährlich stattfanden, leistete ab 1989 der Berliner Kultursenat, zuvor finanzierte man sich selbst mit Hilfe von Spenden. Schwanden Gebers die Kräfte, so die Sage, war stets Brötzmann zur Stelle, lud ihn auf und trieb ihn an. Unschönes passierte Anfang der 2000er Jahre. Es gab Ärger, Prozesse, leider wenig prägnante Musik. Doch darüber jetzt, in der Stunde des Abschieds: Schweigen. Musiker - deren Wunsch und Wille - galten der FMP stets als Maßstab, die aus Europa besonders. Deutsche, Niederländer, Briten, Schweizer - und lange vor 1989 auch Deutsche aus der DDR. Gelegentlich kamen auch Amerikaner zum Zug. Die Dokumentation des Pianisten Cecil Taylor auf 11 CDs, während dieser als Stipendiat 1988 in Berlin weilte, ein riskantes Unterfangen, brachte dem Label den Durchbruch auf dem amerikanischen Markt sowie in Japan.
Es gibt kaum eine FMP-Platte, die einen kalt lässt. Was auf alle Fälle am Ende des Tages von Gebers & Co. bleibt, sind der Drang und die Kraft und die Spannung. Die FMP bevorzugte Musik ohne Deckung, Musik, die einen forderte. Man suchte nach neuen Zugriffen auf die Improvisation, authentisch sollten sie sein, originell und zuverlässig überraschend. Und die Aufnahmen sollten die Kraft des Moments eins zu eins festzuhalten - deshalb auch so viele Live-Aufnahmen. Man scheute das Raue oder Unfertige nicht, man versprach sich davon das Echte und Wesentliche.
Im Rückblick
Die Essays im Nachruf-Buch «Im Rückblick» - von den verlegten Musikern meldet sich leider nur die Brötzmann-Stimme - geben Einblick in die Label-Strukturen, die Vorgehensweise, überschneiden sich im Wortlaut mitunter. Im Layout gibt man sich etwas glatt und ein wenig, ja doch, erschöpft. Allerdings sind Dagmar Gebers' Fotos, die das Buch zahlreich bevölkern, von nachhaltigem Belang; sie fangen ein, worum es beim Improvisieren geht - um den schöpferischen Augenblick, eine Salve den Horizont weitender Augenblicke sogar.
Bei den CDs gibt sich die FMP gewohnt kraftvoll. In der Box stecken sechs bereits veröffentlichte Klassiker, zum Teil kompilierte Aufnahmen, die die Label-Bandbreite anreißen; Steve Lacy, Irène Schweizer, Fred Van Hove zum Beispiel. Die sechs übrigen CD, Neueinspielungen bzw. Neuausgrabungen, halten da mühelos mit; Brötzmanns «Die Like a Dog»-Quartett aus dem Jahr 1994, Globe Unity im Studio Mitte der siebziger Jahre, Peter Kowalds überirdische Solo-Bass-Platte «Was da ist (live)». Oder Tristan Honsinger und Olaf Rupp, einer aus dem beinahe ersten Free-Wurf und einer von heute, minimalistisch und wild. Oder ein Quartett um den eigenwilligen Gitarristen Hans Reichel, mit ungekannten Klangfarben. Alles Würfe von Tragweite. Erfüllt von hier, von jetzt. Und von immer.
aus: NZZ, Neue Zürcher Zeitung, 18. Februar 2011


Rigobert Dittmann
Versuch der Rekonstruktion einer vergangenen Zeit
Die Jahreswende 2010/2011 hat mir zwei Menhire auf den Tisch gewuchtet, Zettel‘s Traum von Arno Schmidt (1514 p, 7 kg), endlich die Erfüllung eines 35 Jahre lang gehegten Wunsches. Und

FMP Im Rückblick 1969-2010 (FMP 137-148, Box w/ 12 x CD + 12 x 12“ book, 220 p, 3,4 kg), eine großzügige, Atem beraubende Überraschung, die mir Jost Gebers beschert hat. Die vielen, vielen Fotos - der Rückblick ist tatsächlich vor allem ein Blick - öffnen eine Falltür in die Vergangenheit, wobei die 70er in ein Grau wie ‚vor meiner Zeit‘ gehüllt scheinen, aber ein Jungsein zeigen, an dem dann der Lauf der Zeit ein anderes Grau ausprobiert. Die 80er treiben dann mir persönlich einen Kloß in den Hals. 1984 hatte ich, spätberufen als 30-jähriger, mein Brötzmann-Heureka, rasch gefolgt von LPs, die schon wegen der Titel bis heute prickeln: Machine Gun, Ein Halber Hund Kann Nicht Pinkeln, The Nearer The Bone, The Sweeter The Meat, Alarm.... Grund, nostalgisch zu werden? Ach was. Ich scheue die Vergangenheit wie der Teufel das Weihwasser. Bei Cold Case - Kein Opfer ist je vergessen macht mich allein schon zu sehen, was die Zeit den Menschen antut, ganz schwach. Und wenn dann die Toten geisterhaft winken, ach... Bert Noglik spricht als Einziger in seiner FMP-Reminiszenz diesen wunden Punkt direkt an: Alles hat seine Zeit. Sich das klar zu machen, kann Gelassenheit oder Melancholie hervorrufen. Und - Misha Mengelberg zitierend: „...klar ist man nur etwas näher am Grab“. Ja nun - alles nur Zeitvertreib? Mit Sicherheit sei nur anzunehmen, dass etwas geschehen ist. Gelebtes Leben, am Stück, oder in Scheiben?
Was Ist Denn Nun? Was ist geschehen in Jost Gebers Produktionsstätte? Ein Mujician gibt Auskunft: We Play („We just play, man!“) In A State Of Undress, Just For Fun, Vorn, Anticlockwise, So-Und?So! - Wer? - Buben, Erdmännchen, Magnetische Hunde & Wilde Señoritas, Solo, Two Making A Triangle, Three Blokes, Selb-Viert, 5, Die Sich Nicht Ertragen Können, The Family - ...Superstars? - Né Né. - Was Macht Ihr Denn? - Was Da Ist. Just Music. Unter Anderem: ‘N Tango Für Gitti, Duets, Dithyrambisch, Interludes, Impromptus, Paintings, Follies, Songlines, EinePartietischtennis, Elf Bagatellen, 14 Love Poems, Schizophrenic Blues, Cyberpunk, Grooves ‘N‘ Loops, Sweet And S‘Ours, Wie Das Leben So Spielt. Too Much Is Not Enough. - Ach Was!? Und? Wurde Geschichte gemacht? - No Comment. Music Is Music Is... - ?!? - Always A Pleasure. Tschüs. Sprach der seltne Vogel Ymir und verschwand im Berlin Djungle.
Berlin ist das häufigste Wort auf FMP. Aber seit den programmatischen European Echoes des Startschusses FMP 0010 bestand immer eine hohe WEST...OST-Spannung. Wie bei einer berühmten Szene von Chabrol: Die Kamera fährt zurück, die Linse zoomt gleichzeitig nach vorne, im Weggang bleiben Gefühle hängen. Einen atlantischen Bruch gab es nie, eher das, was Harold Bloom ‚Anxiety of Influence‘ genannt hat. Mochten Brötzmann, Bennink, Van Hove, Kowald, Schlippenbach die großen und zig andere die kleineren Hausgötter gewesen sein, Cecil Taylor war es nicht weniger und ihm wurde nicht umsonst 1989 mit einer 11-CD-Box gehuldigt. Zudem verkörpert gerade Brötzmann einen Brückenschlag nach New York und Chicago (mit Last Exit und Die Like A Dog) und gießt alle FMP-Essenzen - die, wie Ken Vandermark und Bill Shoemaker plastisch schildern, in den USA nur mühsam rezipiert werden konnten - in das Brötzmann Chicago Tentet.
Gibt es eine FMP-Essenz? Felix Klopotek zeichnet in seinem herausragenden Beitrag da eher eine hochkomplexe Gemengelage und lässt weder die zentrale Rolle der Achse Wuppertal-Berlin unwidersprochen, noch die Helden- und sonstigen Mythen unhinterfragt, etwa dem von Machine Gun als FMP-Manifest (das scheint nur durch die selektive Atavistic-Brille so). FMP hatte kein Einheitsfrontlied. FMP war zentraleuropäisch, d.h. vielfältig und weltoffen, kein ästhetischer Blitzkrieg, vielmehr ein Forum für Mavericks verschiedenster Couleur - Klopotek nennt beispielhaft, neben Carl, Johansson und Reichel, u. a. auch noch Malfatti / Wittwer, Möslang / Guhl, Goebbels / Harth, Michel Waisvisz und insbesondere den Sonderweg, den Günter Christmann, Wolfgang Fuchs und das King Übü Örchestrü vorschlugen, die nicht nach Jurassic Park und nach Balls klangen - nach King Kong, als er noch seine Eier hatte - , sondern wie eine summende, brummende, raschelnd-knacksende Wiese im Frühjahr.
War FMP ein 68er Ding? Auch. Einfach schon jahrgangsbedingt: Gebers ist Jahrgang 1940, Brötzmann 1941, Bennink 1942, Johansson 1943, Kowald 1944, Reichel 1944... Nicht direkt politisch, aber bestimmt durch die Aufbruchs- und Born-to-be-wild-Stimmung und das Frei-Sein-Wollen - Free Music Production hatte Aufforderungscharakter - Do It Yourself (ich weiß, das Motto der Onanisten). Rauschebärte, Mähnen und Schnauzer bis weit in die 80er hinein. In den 70ern auch schon mal Crew-cuts bei Brötzmann & Bennink, die verraten, wem Vandermark ähnlich sehen will. Absolut ein Jungs-Ding, anfänglich ein Gruppenbild mit Dame: Irène Schweizer - dann Aebi, Van Den Plas, Brüning, Crispell, Léandre - die Feminist Improvising Group spielte beim Total Music Meeting 1979. Erst in den 90ern wurden es etwas mehr, live zumindest: Gottschalk, Hirsch, Ibarra, Parkins, Schürch, Takase, Wodrascka... Zugleich mit der leichten Feminisierung rückte die Eine Welt ins Blickfeld - ab 1980 mit Africa Djolé. Exotinnen wie Jin Hi Kim, Namchtylak, Xu vereinten beides, mit Kowald als Bürgermeister des Global Village. Doch nie die Toscana. Dafür gibt‘s ECM. Harth fand allerdings ein Wurmloch, hier mit Just Music (1969), und da mit Canadian Cup Of Coffee (1974) von E.M.T., seinem Projekt mit Johansson. [Auf dem ECM-Zweig JAPO gab es mehr Gemeinsamkeiten].
Jost Gebers Prinzip Doppelleben (er war hauptberuflich Sozialarbeiter) ist noch viel zu wenig gewürdigt als Alternative zum Prinzip Bohème. Als Produzent war er dem Anwalt Bernard Stollman (ESP) ähnlicher als Manfred Eicher (ECM). Bis in den Sound. ECM meist studiosublim und high fidelity (Tonstudio Bauer, J.E. Kongshaug), ESP und FMP oft live, meist direkt und rau, teils bewusst übersteuert. Selbst Vandermark brauchte lange, um hinter ‚diesen sound‘ zu kommen: ...part of the intensity of the saxophone sound was due to actual distortion taking place on the recording tape (Peter Brötzmann, Willem Breuker, and Evan Parker had put the needle well into the red), and I spent weeks trying to figure out how to imitate ‚that sound‘. Intensität, das war‘s, das ist‘s. Das As serious as your life-Feeling. David Keenan geht in den Linernotes zu Die Like A Dog soweit, den archaischen Futurismus von Brötzmanns Quartett das Bewusstsein zu unterstellen, dass Energie fortwährend Opfer verlangt. So wie zu den Opfergaben der Azteken - und zum Tod von Kafkas K. ebenso wie von Malcolm Lowrys Konsul - ein toter Hund gehörte, damit der Geist auf dem Rücken des Hundes durch die Wasser des Todes schwimmen konnte.
Wobei ‚as serious as‘ oft auch nur ‚so bierernst wie...‘ bedeutete. Das wahre ‚Do or die‘ schien unter ‘89er-Vorzeichen in die Innere Emigration zu gehen. Es war auf einmal falsches Bewusstsein, unzeitgemäß, unpassend, geradezu unfein. Während die alten Platzhirsche weiter röhrten, also - laut Jim O‘Rourke (und Alfred HARTH sieht das ebenso) - immer wieder nur ‚ihr Ding‘ vorführten, statt zu improvisieren, verfielen die Jüngeren auf Maßstabsverkleinerungen, bürsteten Intensitätserwartungen gegen den Strich und erteilten leise Lektionen in Empfindsamkeit. FMP zeigte sich entsprechend reserviert, bevorzugte weiterhin die alten, mehr denn je auch amerikanische Heroen - Gayle, Lacy, Morris, Rivers... Taylor natürlich - und die tougheren Facetten - etwa struppige Gitarreros wie Hirt, Knispel, Montera, Rupp.
1989/90 selbst war für FMP keine Wende, zumindest findet sich kein Niederschlag. Einfach daher, dass die Grenze musikalisch längst durchlässig gewesen war. Petrowsky, Gumpert, Sommer und Synopsis waren seit 1973/74 dabei, ‚Jazz aus der DDR‘ war das Live-Special 1979 & ‘81 und wurde schon mit dem Doppelalbum Snapshot - Jazz Now / Jazz aus der DDR (1980) gewürdigt. Vielleicht als das europäischste Element innerhalb der European Echoes. Die gefilterte Luft hatte die Musiker - ähnlich wie beim Jazz made in USSR - verstärkt auf andere Quellen verwiesen - Vergessenes aus teutschen Landen, Bach... Goebbels / Harth und Georg Gräwe mit dem Grubenklangorchester knüpften daran an. Der Leipziger B. Noglik hat wie kein anderer den zentraleuropäischen Fäden, die sich auf FMP verknüpften, nachgespürt. Und bei einem Amerikaner, bei Mike Heffley (in Northern Sun, Southern Moon: Europe's Reinvention of Jazz), findet man eine mögliche Antwort darauf, warum ausgerechnet Deutschland Europas heißeste Bratpfanne für Free Jazz war: German jazz artists have exhibited the same life-or-death sense of ‘serious play' that has marked the European composer-improviser tradition from Bach through Stockhausen. Offenbar ist es diese Unbedingtheit, die tatsächliche Notwendigkeit, die in den 90ern ‚drüben‘ wie herüben entfiel. Die Wiederbelebung kam wiederum von außen - via Chicago und Skandinavien - durch Frode Gjerstad, Gustafsson, Vandermark, die Atavistic Unheard Music Series, Okka Disk. Einerseits. Und andererseits durch neue Berliner, aber auch Kölner Begegnungen (ohne Angst vor Opas Free Jazz). Die Jazzwerkstatt fährt inzwischen schon Sonderschichten.
Die FMP-Retrospektiv-Box ist ein Gedenkstein mit Anstoßpotential. Die 12 CDs lösen die unmögliche Aufgabe einer repräsentativen Übersicht nicht salomonisch, sondern alexandrisch und offensiv - Zack! Voilà:
FMP CD 137: GLOBE UNITY ORCHESTRA & GUESTS Baden-Baden ’75
Unveröffentlicht (Ausnahme: Titel “Jahrmarkt” von Kowald, erstveröffentlicht bei PoTorch als LP). Beim gleichen Meeting wie PEARLS aufgenommen, mit BRAXTON und dessen urigem ‚U-487‘, mit RAVA, und mit zwei messerscharfen SCHLIPPENBACH-Konstrukten, getoppt von KOWALDs Charles-Ives-mäßigem ‚Jahrmarkt‘. CARL spielt auf dem Akkordeon ‚La Paloma‘ und und und... DER HAMMER!
FMP CD 138: STEVE LACY Solo 1975 & Quintett 1977 In Berlin
Reissue: Solo (LP Stabs) & Quintet (2. Seite Follies). Lacy is Lacy is Lacy.
FMP CD 139: SCHWEIZER/CARL/MOHOLO 1975/77 Messer und…
Reissue: LP Messer & 1. Seite Tuned Boots. Schussfahrt über Stock & Stein. Dem Klavier wackeln sämtliche Zähne, es mutiert zum Hackbrett, CARL bläst auf Sax, Klarinette und Piccoloflöte, dass Lawinengefahr droht, MOHOLO wirbelt wie ein hochtouriger Kreisel... » - :king!« -
FMP CD 140: SCHLIPPENBACH QUARTET 1975/77 at Quartier Latin
Reissue: LP The Hidden Peak & 2. Seite Three Nails Left. Pfefferbraten nach Art des Hauses. KOWALDs Bass mildert nicht wirklich, was PARKER mit seinen Intensivbohrungen & LOVENS mit hohem Klirrfaktor so entschieden verschärfen. Reihum extented techniques bis zur Selbstentzündung des schrägen Vogels Loplop. Der direkte Vergleich mit MESSER verdeutlicht die Unterschiede selbst in FMPs heißer Kernzone.
FMP CD 141: BRÖTZMANN Solo 1976 Wolke in Hosen
Reissue: Seine erste Solo LP. Eine Demonstration. Ein Bekenntnis. Mit gespaltener Klarinettenzunge, als Vogelpeter, als Humpty Dumpty, als einer, der den Marsch bläst, mit Stammbaum bis zurück zu Marsyas.
FMP CD 142: MALFATTI/WITTWER 1977 UND?...plus
Reissue: LP UND? & Bonus Track. Harter Stoff. Metaposaunistisch und antigitarristisch. Bruitistische Pionierarbeit, die man leicht für jünger schätzt. MALFATTI sublimierte sich seither bis zu nur noch gedachter Musik, WITTWER landete über zuerst das andere Extrem - Jazzcore - bei SuperCollider-Tüftelei. Tja.
FMP CD 143: FRED VAN HOVE Piano Solo
Reissue: LP Prosper 1981 & LP Die Letzte 1986. Einesteils Looney-Toon-Gewusel auf Klimperkasten, mit Innenklaviereskapaden oder einem seltsamen Walzer, andernteils verschlungene, enorm verdichtete pianistische Raserei.
FMP CD 144: DIE LIKE A DOG Close Up
Wie alles Folgende bisher unveröffentlicht. BRÖTZMANN, DRAKE, KONDO & PARKER beim Total Music Meeting 1994. DER Brückenschlag, ins Innerste, bis zum Äußersten, vom Individuum ins Kollektiv. Totale Musik. Große Poesie in Nahaufnahme.
FMP CD 145: MANFRED SCHULZE BLÄSER QUINTETT 1998 Choral-Konzert
In Memoriam M. SCHULZE (1935-2010). Der DDR-Sonderweg von Bach bis Marsch treibt Blüten. Harmonischer oder furioser Chorgesang breitet den Mantel um Stoßseufzer, mit Feuerzungen oder im Morse-Code werden hitzige Diskussionen geführt.
FMP CD 146: MANUELA plus Live In Berlin 1999
CARL, REICHEL & ZINGARO + KIM. Spitzbübisches per Klarinette, Akkordeon, Claviola, Gitarre, Daxophon & Geige + Komungo. Alte Hasen machen vor, wie Leichtigkeit geht. Spiel & Spaß mit FMP, ein unvermutet reichhaltiges, wenn auch etwas heikles Kapitel.
FMP CD 147: PETER KOWALD Was Da Ist (live) 2000
Der Weltbürger zeigt, was Fülle heißt, sonor, schnarrend, flötend, holzig plonkend, singend. Größer als der Raum ist die Zeit, und größer als die Zeit der Augenblick.
FMP CD 148: TRISTAN HONSINGER & OLAF RUPP Stretto 2010
Nagelneu! Ein Ritter von trauriger Gestalt und ein properer Sancho. Dessen struppig überdrehtes Gitarrengeflirr, das oft stierkämpferisch spanisch auftrumpft, wird umsponnen von ausgeflippten Sägezahngesängen des Cellos. Temperamentvolles Kontra, auf den Punkt gebracht. Unten Clownsfüße, aber oben feine Poesie.
FMP lebt!
aus: Bad Alchemy # 68, Januar 2011



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