FMP-RECORDS (SAJ-Numbers) 1974 - 1991

SAJ-49

Tom Johnson

 

Yoshi Wadas Musik ist massig. Als ich Wada Anfang der siebziger Jahre zum erstenmal hörte, spielte er massige Blasinstruments, die er "pipe horns" nannte. Später sah ich ihn in einem massigen hallenden Tunnel, den er gebaut hatte, mit einem Freund zu singen. Dann kamen die massigen Luftkompressoren, welche Luft durch Massen von Pfeifen bliesen. Die ganze Zeit war die Musik selber ebenfalls massig, und ich bin durchaus nicht sicher, dass dies nur eine Metapher ist.

Da Musik nicht berührbar ist und nicht gewogen werden kann, ist es ein bisschen schwierig, sie als etwas zu denken, was Masse hat. Für den Physiker jedoch sind Masse und Dichte wesentlich dasselbe, und es ist nicht allzu schwer, sich vorzustellen, dass Luft, wenn sie zu Wadas Musik schwingt, dichter ist als sie es unter anderen Bedingungen sein würde. Die Luft in seinem Luftkompressor oder in den Säcken seiner Dudelsäcke steht unter Druck und ist somit zweifellos dichter als normal. Und wenn ich diese Musik höre, besonders bei einer öffentlichen Aufführung, wo die Lautstärke keine geringe ist, habe ich das Gefühl, dass die Musik extrem dicht ist. Der Klang scheint voll zu sein von Obertönen und Untertönen und Echos und Akzenten und anderen Komplikationen. Und "voll" ist nur ein anderes Wort, um auszudrücken, daß die Musik dicht oder dick oder schwer zu sein scheint. Und wenn Wadas Musik zudem von langer Dauer ist, oftmals gut eine Stunde ohne Unterbrechung durchgehend, dann liegt das einfach daran, dass ihre Länge in Proportion zu ihrer Dicke stehen muss. Dass Massige erstreckt sich in mehrere Richtungen.

Vielleicht ist es richtiger, in Wada mehr einen Bildhauer als einen Komponisten zu sehen, denn seine Musik scheint wie Holz oder Stein etwas körperhaft Gegenständliches zu sein. Hinzu kommt die Art, wie er dieses Material behandelt. Die meisten Komponisten arbeiten mit ihren Ideen. Ihr Hauptinteresse liegt in Melodien, Harmonien, thematischen Beziehungen, Tonreihen, tonalen Zentren, emotionalen Qualitäten und in anderen abstrakten Dingen, die alle durch Klang vermittelt werden können, von denen aber keines wirklich Klang ist. Wada dagegen arbeitet direkt mit dem Klang als solchem. Seine Musik, arrangiert für Kirchenorgel, klänge beispielsweise albern. Und wenn er sich lieber einige improvisatorischen Freiheiten bewahrt, als spezifische musikalische Ideen zu notieren, dann liegt das zumindest teilweise daran, dass er an solchen msuikalischen Ideen, die sich auf Papier niederschreiben lassen, nicht sonderlich interessiert ist. Er möchte den unmittelbaren Kontakt mit der physischen Realität von Klang aufrechterhalten.

All das geht gegen die Traditionen der europäischen klassischen Musik, aber Wada macht eigentlich auch keine europäische klassische Musik. Er kommt von mehreren Traditionen her. Obwohl er seine Heimat Japan verließ, als er etwas über zwanzig war, ist von dem Statischen, Zeremoniellen des Gagaku, des klassischen japanischen Hoforchesters, noch einiges in dem zu hören, was er macht, besonders in diesen neueren Werken, die Trommeln mit einbeziehen. Ausserdem hat er viele Arten von Volksmusik studiert. Einmal z.B. haben wir in New York gemeinsam an einem balkanischen Liederkurs teilgenommen, bei einer Frau, die ein großes bulgarisches Repertoire hatte; und ich weiss, dass Wada viel afrikanische und asiatische Folklore gehört hat. Besonders unverkennbar sind die Jahre, die er beim Studium des klassischen Dudelsackpfeifenstils verbrachte, der tatsächlich ganz anders ist als der militärische Stil, der so oft bei Aufmärschen zu hören ist.

Doch trotz dieser Vielfalt von Quellen und Einflüssen muss Wadas Musik letztlich der amerikanischen minimalistischen Musik zugeordnet werden, die sich Ende der sechziger und in den siebziger Jahren um New York herum entwickelte. Sie ist relativ einfach, hat meditative Qualität, folgt eher den herkömmlichen Tonarten als dem 12-Tonsystem und bleibt vom Anfang bis zum Ende eines Stückes relativ statisch. Andererseits bewegt Wadas Musik sich nie in gleichmäßigen Achtelnoten, hat keine genauen Wiederholungen, kann nicht auf westlichen klassischen Instrumenten gespielt werden und hat somit kaum Ähnlichkeit mit vielem von der am besten bekannten Musik der minimalistischen Gruppe. Ich würde sagen, die Kollegen, die Wada am nächsten stehen, sind Phil Niblock, Maryanne Amacher und Alvin Lucier, denn dies sind die Leute, die sich besonders eingehend mit dem Phänomen des Klanges als solchem beschäftigt haben. In dieser Hinsicht ist ihre Musik vielleicht radikaler als die so vieler anderer experimenteller Komponisten, vielleicht bedeutender und, zumindest was Wada betrifft, bestimmt massiger.

Übersetzung: Wulf Teichmann

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