Milo Fine
Bernd Ogan
Manfred Sack
Reissue:
Jeph Jerman
Reiner Kobe
Rigobert Dittmann


Milo Fine
Saxophonist (tenor/soprano) clarinetist (regular and bass) Alfred Harth has made a few appearances on FMP, but on its sister label SAJ. Vom Sprengen des Gartens features Harth with his regular partner (since ’76) Heiner Goebbels (on piano, organ, accordion and tenor sax) playing 12 pieces. An enclosed text, in German, comes inside the record. The music speaks eloquently for itself. This duo’s basic orientation is in a music combining influences from free music, classical (check their fiery dual tenor interpretation of Rameau’s “Le Rappel”) and folk. It succeeds very well thanks to the ability and sensitivity of both musicians. Goebbels’ piano work is strongly linked to that of Leo Cuypers in that he is a loose, romantic and yet accurate player. His accordion work, particularly on the haunting “Krähenmusik” is marvelous. Harth’s playing is distinctive due simply to the interesting amalgamation of musics to which he applies it. From screechy to warbling melodies, he is strong. The movement during a given piece from free playing to pre-conceived material is always smooth, with subtle cues leading the way. Substantial and interesting listening for anyone interesting in a different view of the term “world music”.
from: Cadence Magazine # 9, September 1980


Bernd Ogan
Der Widerstand in Gorleben ist (vorerst) gebrochen. Zwei Jazzer aus Franfurt, Heiner Goebbels und Alfred Harth, haben ihm in ihrer zweiten LP ein Denkmal gesetzt. Die Plattenhülle zeigt Kernkraftgegner in Gorleben auf Bäumen, die von Polizei und Grenzschutz gefällt werden sollen. Die Platte handelt vom „Sprengen des Gartens“ (einer „Ermutigung“ von Bert Brecht, die 1943 von Hanns Eisler in vorsichtige, zarte Töne gesetzt wurde) und versucht Jazzmusik in den Dienst des politischen Engagements zu stellen. Oder umgekehrt: politisches Engagement als Inspiration dem Jazz zukommen zu lassen. Die Verweise sind vielfältig und undogmatisch. Neben Eisler/Brecht (in drei Versionen) tauchen auch andere „Klassiker“ auf: Jean Philipp Rameau, französischer Aufklärer des 18. Jahrhunderts, mit einem Stück für Cembalo „Le rappel des oiseaux“, J.S. Bach mit einem „Rezitativ“ aus der Matthäus-Passion, das nach stillem, verhaltenem Beginn zu einem dramatischen, explosiven Ende geführt wird, und Robert Schumann mit einem Liebeslied („Ich grolle nicht“), dessen Text ausgerechnet von Heinrich Heine stammt, dem in der gleichen Tonart noch ein kleines Stück, der „Bis bald, Calypso“ zugedacht ist. „Rock gegen Rechts“ bringt Rock-Phrasen, die das „Linksradikale Blasorchester“, in dem die beiden mitspielen, beim gleichnamigen Festival im Juni 1979 in Frankfurt vorgeführt hat. In der Improvisation „Almelo“ taucht ein bretonisches Volkslied auf, das (mit neuem Text) von der Antiatomkraftbewegung aufgegriffen wurde. Von Trauer, Aufbau, Resignation und Widerstand berichtet auch „Los Campesinos“, eine alte antifaschistische Melodie aus dem spanischen Bürgerkrieg, die beim „Workshop Freie Musik“ in Berlin mitgeschnitten wurde. Alle anderen Titel sind in der Musikschule Frankfurt aufgenommen worden.
Vielfältig und überraschend ist nicht nur die Auswahl der Themen und stilistischen Anregungen, die Instrumentalisierung steht dem nicht nach. Piano, Orgel, Akkordeon, Tenorsaxophon (Goebbels). B-, Es- und Bassklarinette, Tenor und Sopran (Harth). Jazzfreunde, die dem modernen Jazz eine gesellschaftliche Bedeutung zumessen, sollten in diese Platte unbedingt einmal hineinhören und das Ergebnis kritisch würdigen. Ein interessantes, lohnenswertes Unterfangen.
aus: Jazz Podium # 7, Juli 1980


Manfred Sack
Die Poesie des Titels (der einem hier mehrfach variierten Lied von Brecht und Eisler gehört) spiegelt die Poesie dieser überaus musikantischen Veranstaltung wider und gibt sogar dem Beiblatt mit den Erläuterungen noch seinen einprägsamen Charme: Zwei Musiker spielen jeder auf etwa drei, manchmal den gleichen Instrumenten (Saxophon, Klavier, Klarinette, Akkordeon, Orgel), sie duettieren auf die anregendste Weise und haben sich und uns eine Menge mitzuteilen. Sie schwatzen und sie singen, sie reden, zwitschern, streiten, meditieren, tänzeln, schreien, spielen miteinander. Man spürt ihren Ernst, man ergötzt sich an ihrem Humor,  man freut sich an ihrer Gedankenlust bei der Melodienwahl (bei Bach, Rameau, Fritz Waechter, Schumann, Eisler, Casals), man bewundert ihre Phantasie, damit improvisierend umzugehen und daraus keine andere als ihre Musik zu machen, eine ganz eigene, klassisch inspirierte leicht vom (Free)Jazz gestreifte Musik.
aus: Die Zeit # 19, 2. Mai 1980

About the ReRMegacorp reissue:

Jeph Jerman
This double disc set is a re-release of the first two LPs by the duo of Goebbels and Harth, which marked the beginning of their long and fruitful collaboration. They would go on from here to record as the Sogenanntes Linksradikales Blasorchester with Christoph Anders, and to found Cassiber with Chris Cutler.
In interview Goebbels has stated that Hanns Eisler was perhaps responsible for his becoming a musician, so it is fitting that the first of these discs, Hommage/Vier Fäuste für Hanns Eisler, is named for Eisler. Using keyboards (piano, accordion, organ) and reeds (tenor and soprano saxes, E-flat, B-flat and bass clarinets), Goebbels and Harth power through a sort of jazz and punk take on European Cabaret music, at times reminiscent of a mad circus or particularly lively soundtrack for some old silent film. Some tunes run through changes of mood with every new musical motif: drinking songs, cartoon marches, folk melodies, snatches of Canterbury prog and free jazz all pass by rapidly. Some of the melodies are maddeningly familiar and Harth's reeds conjure memories of Lol Coxhill on soprano or Albert Ayler on tenor in equal measure. Surprises come with the changes of instruments, with the pairing of clarinet and accordion yielding some interesting timbres. The inclusion of what sounds like birdsong (a whistle?) on "Der Ruf der Vögel" and Goebbels breaking out his own tenor sax on another serve to keep things interesting.
The second disc, Von Sprengen des Gartens, is the more subdued, with more quiet ballad-like tunes, and is at times (as on the opening title suite) even a bit stately. Perhaps this is the more "mature" disc, as having shown that they could rock they wanted to stretch out a bit on their second report to show what else they were capable of. Harth's sound is more inclined toward Jan Garbarek here, more romantic overall, though that's not to say that the out playing is gone, there's just a bit less of it. There are some new approaches here as well, on "Almelo" the sound is gospel-like from the tenor, and gothic from Goebbels organ, and "Rezitative" plays around with a Bach theme, as a sax duet. The second disc also has a bit warmer sound than the first, though I cannot comment on the re-mastering job, as I have not heard the original albums.
from: Squid’s Ear, January 15, 2008

Über die ReRMegacorp  Wiederveröffentlichung:

Reiner Kobe
Das Duo Heiner Goebbels/Alfred Harth verband in den 70er Jahren mit Jazz einen politischen Anspruch. Er hatte zwar wenig Nachahmer, doch die beiden Musiker erspielten sich auf politischen Demonstrationen einen populären Ruf. Ihre ersten beiden LPs, die auf FMP erschienen sind, wurden jetzt erstmals auf CD veröffentlicht, was ein reines Hörvergnügen ist. Denn das Duo musiziert munter drauf los, fürchtet nicht den Knüppel der Jazz-Polizei. Die erste Scheibe, 1976 live eingespielt im Berliner „Flöz“, enthält zur Hälfte Kompositionen von Hanns Eisler. In seinem Geist sind auch die restlichen Eigenkompositionen. Das Marschmäßige des österreichischen Komponisten, der in der DDR lebte, wird stets kreativ gebrochen durch Harths aufgekratzte Saxophon-Attacken und Goebbels ironisches Akkordeon. Letzterer betätigt sich auch als Pianist, was zu traumhaften Dialogen mit Harth führt. Die beiden weisen dem Free Jazz einen gangbaren Weg.
Auf der zweiten Platte gehen die beiden zwei Jahre später noch einen Schritt weiter. Neben Eislers Kompositionen werden jetzt auch solche von Bach, Schumann und Rameau einbezogen, ein ungewöhnlicher und mutiger Schritt, einmalig damals. Themen und Stilistiken sind insgesamt so vielfältig wie die Instrumentierung. Harth spielt neben Tenor- und Sopransaxophon verschiedene Klarinetten. Goebbels Klavier, Akkordeon und Tenorsaxophon. Das Titelstück bezieht sich auf ein Gedicht von Brecht, das Hanns Eisler vertonte und in einer weiteren Variante von Goebbels/Harth verarbeitet wird. Gelungen auch die anderen Bearbeitungen. Rameaus Stück für Cembalo zwitschert in den höchsten Tönten. Bachs Rezitativ aus der Matthäus-Passion explodiert dramatisch nach stillem Beginn. „Rock gegen Rechts“ stützt sich auf Rock-Phrasen, dann taucht ein bretonisches Volkslied („Almelo“) auf, bevor „Los Campesinos“, die alte antifaschistische Melodie aus dem Spanischen Bürgerkrieg, von Resignation und Widerstand berichtet. Mit dieser LP, deren Hülle AKW-Gegner auf Bäumen in Gorleben zeigt, haben Goebbels/Harth dem politischen Widerstand ein unvergessliches Denkmal gesetzt.
aus Jazz Podium # 11, November 2007


Rigobert Dittmann
Längst ist HEINER GOEBBELS bei seinem langen Marsch von der Frankfurter Spontiszene durch die Institutionen angekommen bei der Goetheplakette der Stadt Frankfurt, dem Hessischen Kulturpreis und der Präsidentschaft der Hessischen Theaterakademie, mehr als verdient.
Die Fotos auf Hommage/Vier Fäuste für Hanns Eisler + Vom Sprengen des Gartens zeigen ihn als wuschelköpfigen Twen, der mit Piano und Akkordeon Bach, Rameau und Schumann mit Nino Rota und vor allem mit Eislermaterial kurz schloss.
An seiner Seite der Saxophon- & Klarinettist ALFRED HARTH, mit Jahrgang 1949 der um drei Jahre ältere Kompagnon einer Produktionsdyade, die von 1974-88 Bestand hatte. Bevor die beiden sich auch im Sogenannten Linksradikalen Blasorchester zusammentaten, hatte Harth schon mit „just music“ und „E.M.T.“ (Energy/Movement/Totale) internationale Freejazzerfahrungen gesammelt. Die Eisler-Hommage entstand im Oktober 1976, die Scheibe mit den Gorlebendemonstranten auf dem Cover 1978/79, beide erschienen sie in der SAJ-Reihe von FMP, in der Jost Gebers auch schon Canadian Cup of Coffee von E.M.T. herausgebracht hatte. Das Rezept dabei war irre, Eisler reimte sich plötzlich auf Albert Ayler. G & H spielten Trinità und Bambino, dass es im Westend nur so staubte. Nicht Kraut war Inspirationsquelle, sondern Brecht. Wenn es keine deutsche Populär-Kunsttradition mehr gab, musste man sie eben neu erfinden. ‚Zur Überwindung von Schwierigkeiten‘, gegen Städtetod, Atommüll, bleierne Zeit deklarierten die beiden schlicht: ‚So, das ist, was wir brauchen‘. ‚Vorwärts!‘, der ‚Sieg im Volkslied!‘ ist zum Be-Greifen nah. In Harth fand Goebbels das ideale Megaphon, er konnte wie kein zweiter hierzulande wilde Töne spucken, die ganz den Geist der ‚October Revolution in Jazz‘ atmeten, zur Kirchenorgel einen Bach-Choral anstimmen und mit dem nächsten Atemzug die zartesten Melodiechen summen. Selten klangen Ratschläge lustvoller, ‚Rock gegen Rechts‘ intelligenter, Notwendigkeit bewegender.
(…) Da waren Eislers ‚Der zerrissene Rock‘ und ‚Die haltbare Graugans‘ und ‚Le Rappel des Oiseaux‘ dann schon immer wieder gern gehörte G & H-‘Standards‘. Die Leistung bestand darin, nicht einfach Klassik für die Werktätigen zu verjazzen. Man fand vielmehr einen gemeinsamen Nenner zwischen den europäischen und amerikanischen Stoffen und Formen, zwischen gehobenen und gefallenen Kulturgütern darin, sie als urbane Gassenhauer zu präsentieren und als Medium menschlicher Bedürfnisse, ohne populistische Verarschung.
„Und übersieh mir nicht zwischen den Blumen das Unkraut, das auch Durst hat“, hatte Brecht empfohlen (‚Vom Sprengen des Gartens‘). Vogelfreie ‚Krähenmusik‘ ließ dem Unkraut Flügel wachsen. Dazu brauchte es keine Worte. Die ‚Botschaft‘, der Widerstand gegen Nazitum in jeder Gestalt, sprudelte aus Melodie & Rhythmus, mit der Eloquenz eines Heinrich Heine, an den Goebbels bei seinem ‚Bis bald, Calypso‘ gedacht hatte. Der einst so brechtianisch bestellte Garten ist zur Müllkippe verkommen, als Parkplatz geplättet. Aber Unkraut vergeht nicht.
aus: Bad Alchemy # 56, August 2008


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