Ulrich Steinmetzger (2000)

Eine Taschenlampe mit Lichtgeschwindigkeit
Jost Gebers ist mit seinem Verlag FMP ein Sozialarbeiter des deutschen Jazz

Jost Gebers ist so etwas wie der Vater der teutonischen Jazz-Avantgarde. Geld hat ihm das nicht eingebracht, aber eine treue Gemeinde weit über Deutschland hinaus und 1990 die Ehrenurkunde des Preises der deutschen Schallplattenkritik. In der Begründung hieß es, er habe "die improvisierte Musik am Leben erhalten und ihr wesentliche europäische Akzente aufgeprägt". Attestiert wurden ihm weiterhin Energie und Selbstlosigkeit. Ausnahmsweise waren das keine Worthülsen. Rund 300 Tonträger nämlich hat Gebers produziert - und das alles bis heute im Anschluss an seinen Fulltime-Job als Sozialarbeiter.

Wer sonst hätte das sensationelle Unterfangen überhaupt nur gedacht, Cecil Taylor, den "Godfather der freien Musik" (Konrad Heidkamp), für einen längeren Arbeitsaufenthalt nach Berlin zu holen, mit wechselnden europäischen Improvisatoren zusammenzubringen und das Ganze in eine Elf-CD-Box + Foto + Textbuch zu packen?

Gebers ist der Kopf von FMP. Das Kürzel steht für Free Music Production und bezeichnet seit Herbst ´69 das kompromissloseste und bekannteste europäische Label in der Nische des freien Jazz. Nicht zufällig in Berlin und noch weniger zufällig kurz nach den Studentenunruhen gegründet, war es von Beginn an als Non-Profit-Kooperative konzipiert. Dass es autonom überleben konnte, ist im Haifischbecken Musikmarkt ein Wunder. Ein befördernder Trick über die Jahre war das konsequente und vorgeschaltete Organisieren von Konzerten. So wurde ein Publikum trainiert und in Entstehungsprozesse nichtnotierter Klänge einbezogen. Hier ist Jost Gebers Pädagoge. Die Konzerte, vornehmlich in der Berliner Akademie der Künste und im Quartier Latin, wurden akribisch aufgezeichnet. Aus diesem Fundus heraus produziert er seine CDs. Die meisten sind Live-Mitschnitte. Hier ist Gebers Archivar.

Musiker der ersten Stunde waren Alexander von Schlippenbach, Peter Kowald und Manfred Schoof. Später kamen Improvisatoren aus anderen Ländern hinzu. Steve Lacy etwa, Willem Breuker oder Evan Parker. Titel wie "Ein halber Hund kann nicht pinkeln", "Vier Fäuste für Hanns Eisler", "Vom Sprengen des Gartens" oder "Auch eine Taschenlampe arbeitet mit Lichtgeschwindigkeit" zeigen, wie bei der Sache immer auch Humor war. Daran wird auch zurückdenken, wer sich noch an das Karpfenzucht-Kaff Peitz bei Cottbus erinnert. In tristesten DDR-Zeiten und im tiefsten Osten war die Mauer am löchrigsten. Alle zwei Monate trafen sich Musiker aus Ost und West auf der Bühne eines verstaubten Provinzkinos, und eine verzückte Schar pilgerte zuverlässig in dieses Niemandsland. Jost Gebers war ein Botschafter in dieser ständigen Vertretung. Erst als die Zuhörer viel später viel zu viele wurden, kam der offizielle Riegel. Da gehörten die prominentesten Ost-Musiker längst zum FMP-Kreis.

Und heute? Gute Neuigkeiten gibt es, denn FMP hat ein Büro (…) für Vertrieb eröffnet. Und FMP hat fürwahr manches zu vertreiben. Zum Beispiel - neu aufgelegt und um fast das Doppelte verlängert - eine der kraftvoll-ironischen Einspielungen des Saxophon-Teutonen Peter Brötzmann. "3 Points And A Mountain…plus", aufgenommen 1979 mit den beiden Holländern Han Bennink und Misha Mengelberg, führt wunderbar diesen unakademischen Aktionismus vor, an dem schon deswegen etwas dran sein muss, weil er inzwischen gut 30 Jahre überlebt hat.

aus: Mitteldeutsche Zeitung, 16. Februar 2000

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